Wirtschaftsnachrichten für Zahnärzte | DENTAL & WIRTSCHAFT
Kolumne „Bitte lächeln!“

Günstige Aligner/Zahnspangen vs. zertifizierte Beratungen

Dr. med. dent. Juliane Becker: Ich habe regelmäßig Patienten, die sich nach einer kieferorthopädischen Behandlung erkundigen. Gerade im Erwachsenenalter stellen sich aber auch viele die Frage, ob es eine Option ist, bei günstigen Anbietern unsichtbare Zahnschienen machen zu lassen, um zu einem schöneren Lächeln zu gelangen. Wie siehst du das als Kieferorthopädin, was rätst du mir als Zuweiser und was den betroffenen Patienten?

Dr. med. dent. Schamiem Stumpfe: Nun, was haben Google, soziale Medien und Germany’s Next Topmodel gemeinsam? Alle werden überschwemmt von Werbung für das perfekte Lächeln. Und das soll auf einem vermeintlich einfachem Weg, nämlich mit durchsichtigen Zahnschienen, zu erreichen sein. Dafür soll nicht einmal der Gang zu einem Fachzahnarzt für Kieferorthopädie notwendig sein. Nur mal kurz in den Pop-up-Store in der Innenstadt gehen und dort einen digitalen Scan als Vorlage für die Schiene machen lassen. Für die, die gar nicht aus dem Haus wollen, kommt alternativ der gute alte Abdrucklöffel per Post nach Hause.

War es früher nötig, Brackets zu kleben, machen heute eben Start-Ups die Zähne gerade. Vorbei sind die Zeiten im Wartezimmer des Kieferorthopäden!

„Gesamte Diagnostik und das kieferorthopädische Know-how fehlen“

Was den Patienten aber nicht klar ist: Hier fehlen leider die gesamte Diagnostik und das kieferorthopädische Know-how.

Und um das zu umgehen, werden nun vermehrt Zahnarztpraxen als „Partner“ gewonnen. Das Start-Up zahlt die Raummiete, stellt das Personal und der Zahnarzt bringt seinen guten Namen ein. Aber wer hält eigentlich den Kopf hin, wenn es mangels fachlicher Mitbetreuung zu Komplikationen kommt?

Dr. med. dent. Juliane Becker: Warum ist es denn wichtig, dass regelmäßige Kontrollen beim Zahnarzt bzw. Kieferorthopäden vereinbart werden?

Dr. med. dent. Schamiem Stumpfe: Wenn sich Patienten in einer kieferorthopädischen Behandlung befinden, gehört zu dieser „Spangenbehandlung“ natürlich auch die Vorsorge im Rahmen einer zahnärztlichen Untersuchung. Karies muss rechtzeitig detektiert werden. Wenn keine ausreichende professionelle Prophylaxe/Zahnhygiene erfolgt, kann es zu sogenannten „White Spots“ oder sogar zur progressiven Karies kommen. Diese unschönen Ränder auf zuvor perfekten Zähnen sind nicht nur ästhetisch problematisch, sondern können auch der Beginn von Schmerzen sein.

Falls du also nach „billigen Möglichkeiten“ einer Zahnkorrektur gefragt wirst, verweise bitte weiterhin an den Kieferorthopäden (CAVE: Fachzahnarzt!) und mach auf die Notwendigkeit regelmäßiger Kontrollen und einer umfangreichen Diagnostik aufmerksam!

„Behandlung bei „Plastikschienen“ kann ordentlich danebengehen“

Jeder Fachzahnarzt weiß, dass bei Alignern ein umfangreiches Know-How notwendig ist, damit die Behandlung auch wie geplant funktioniert! So kann eine Behandlung auch bei diesen „Plastikschienen“ ordentlich danebengehen – da ist einfach mehr zu tun, als einen Abdruck nehmen und die Schienen bestellen! Man will sich gar nicht vorstellen, was passiert, wenn über die Behandlungsdauer dann auch noch die regelmäßigen Vorsorgen beim Hauszahnarzt ausbleiben – die gibt es nämlich genauso wenig online!

Und so bleibt auch die Alignertherapie ein Miteinander aus Zahnärzten und Kieferorthopäden!

Dr. med. dent. Juliane Becker: Und stimmt es, dass das Kiefergelenk bei so einer kieferorthopädischen Behandlung unwichtig ist?

Dr. med. dent. Schamiem Stumpfe: Absolut falsch. Bei einer kieferorthopädischen Behandlung ist es enorm wichtig, dass nicht nur die Ästhetik, sondern auch die Funktion im Vordergrund steht. Nach einer falsch eingestellten Okklusion können Folgeschäden noch Jahre später auftreten. Patienten stellen sich mit Schmerzen im Kieferbereich vor, können zum Teil den Mund nicht mehr öffnen oder haben gar Nackenschmerzen.

Dr. med. dent. Juliane Becker: Dein Fazit?

Dr. med. dent. Schamiem Stumpfe: Eine kieferorthopädische Therapie sollte immer unter Aufsicht des behandelnden Kieferorthopäden und interdisziplinärer Begleitung des Hauszahnarztes erfolgen, um schwere, meist später auftretende Schäden zu vermeiden.

Einen Vorteil haben die Unternehmen dann aber doch: seit sie am Markt für ihre Aligner werben, ist die Aufmerksamkeit für ein schönes und gesundes Lächeln – und damit für Zahnärzte und Kieferorthopäden – enorm gewachsen!

Und was geht dann in Zukunft online? Mehr zu einem nervenaufreibenden Thema (der Zukunft?) in der nächsten Kolumne – die Telematik-Infrastruktur!

*Unsere Kolumnistinnen: Dr. Juliane Becker ist Zahnärztin und hat 2018 eine Bestandspraxis in Dießen am Ammersee übernommen. Dr. Schamiem Stumpfe ist Kieferorthopädin und hat seit Dezember 2019 ihre kieferorthopädische Praxis in Starnberg.