Wirtschaftsnachrichten für Zahnärzte | DENTAL & WIRTSCHAFT
Recht & Steuern

Diese zugegeben polarisierende Aussage bedarf einer genaueren Würdigung. Jedoch sieht vieles danach aus, dass es zu einem gewichtigen Rechtsprechungswandel gekommen ist.

Sachverhalt

So wurde von der Staatsanwaltschaft ein Zahnarzt angeklagt, welcher in 33 Fällen, unter anderem fünf und sieben Zähne auf einmal, extrahiert haben soll, um im Anschluss profitable Zahnimplantate einsetzen zu können. Eine solche Extraktion wäre aus medizinischer Sicht nicht nötig gewesen, was der Zahnarzt jedoch seinen Patienten verschwieg. Hätten das die Patienten gewusst, hätten sie nicht eingewilligt.

Das Landgericht sah im Verhalten des Zahnarztes lediglich eine einfache Körperverletzung nach § 223 I StGB, sodass die Tat im konkreten Fall verjährt wäre. Die Staatsanwaltschaft ging hingegen von einer noch nicht verjährten gefährlichen Körperverletzung nach § 224 I Nr. 2 StGB aus. So sah es auch das OLG Karlsruhe.

Strafrechtliche Betrachtung

Ärztlicher Heileingriff als einfache Körperverletzung nach § 223 I StGB?

Grundsätzlich stellen nach der herrschenden Meinung ärztliche Heileingriffe, welche nicht unerheblich in die körperliche Integrität oder Gesundheit eines Patienten eingreifen, eine rechtfertigungsbedürftige Körperverletzung nach § 223 I StGB dar – unabhängig davon, ob der Eingriff medizinisch indiziert oder lege artis durch geführt worden ist. Eine Mindermeinung schloss bereits tatbestandlich diejenigen Behandlungen aus, welche lege artis durchgeführt worden sind. Auf diese Gegenansicht kommt es hier aber gar nicht an, da hier jedenfalls keine medizinische Indikation für die Extraktion vorlag.

Medizinische Instrumente als gefährliches Werkzeug i.S.d. § 224 I StGB?

Der springende Punkt ist jedoch, ob über die einfache Körperverletzung hinaus auch eine gefährliche Körperverletzung nach § 224 I StGB in Frage kommt. Dies hängt davon ab, ob die benötigte Zahnextraktionszange als gefährliches Werkzeug i.S.d. § 224 I Nr. 2 StGB anzusehen ist.

Ursprüngliche Ansicht des BGH

Seit den 70er-Jahren ging der BGH davon aus, dass ärztliche Instrumente in der Hand eines approbierten (Zahn-)Arztes kein gefährliches Werkzeug seien und somit auch keine gefährliche Körperverletzung vorliege. Dies gelte sogar bei nicht medizinisch indizierten Heileingriffen. Begründet wurde das mit der alten Fassung des § 223a StGB a.F., sodass nach systematischer Auslegung ein gefährliches Werkzeug ein Unterfall einer Waffe sei. Daher käme es bei einem gefährlichen Werkzeug auf einen Angriffs- oder Verteidigungszweck an. Diesen erforderlichen Zweck würden ärztliche Instrumente bei Heilzwecken nicht erfüllen.

Neue Ansicht des OLG Karlsruhe

Das OLG Karlsruhe hat in seinem Beschluss vom 16.03.2022 festgestellt, dass der heutige § 224 I Nr. 2 StGB mit der 6. Strafrechtsreform vom 26.01.1998 geändert wurde und seitdem das gefährliche Werkzeug gerade kein Unterfall der Waffe mehr ist. Vielmehr ist jetzt nach dem Wortlaut die Waffe ein Unterfall eines gefährlichen Werkzeuges.

Auch wenn man argumentieren könnte, dass der damalige Gesetzgeber bei der Strafrechtsreform die ursprüngliche Systematik mutmaßlich beibehalten wollte, sprechen doch der aktuelle Wortlaut und die Systematik für die Auslegung des OLG.

Ebenso scheint ein pauschaler Ausschluss von medizinischen Instrumenten bei ärztlicher Handhabung aus dem Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung mit Blick auf den Unrechtsgehalt wenig plausibel, sofern sie geeignet sind, im konkreten Fall erhebliche Verletzungen herbeizuführen.

Aufgrund dieser neuen systematischen Auslegung gibt es keinen Anlass mehr, für ein gefährliches Werkzeug den Angriffs- oder Verteidigungscharakter im Vergleich zu einer Waffe zu berücksichtigen. Somit ist auf die „klassische“ Definition eines gefährlichen Werkzeugs abzustellen. Danach liegt ein gefährliches Werkzeug vor, wenn es aufgrund der objektiven Beschaffenheit und Verwendung im konkreten Fall geeignet ist, erhebliche Verletzungen herbeizuführen.

Im vorliegenden Fall nimmt das OLG Karlsruhe durch die Zahnextraktionen den unwiederbringlichen Verlust von Teilen des Gebisses, nicht unerhebliche Schmerzen nach dem Abklingen der örtlichen Betäubung, Schwierigkeiten bei der Nahrungsaufnahme, für einige Tage offene Wunde und die daraus resultierende Gefahr für Entzündungen an, welche Tabletten oder andere oralhygienische Maßnahmen erforderlich machen würden.

Daher nimmt das OLG hier eine gefährliche Körperverletzung an.

Es fällt auf, dass das OLG bei der Bewertung der Intensität und Dauer der Verletzung das Ziehen mehrerer Zähne mitberücksichtigt hat. Dies wird von Teilen des juristischen Schrifttums anders gesehen, da es für die Gefährlichkeitsbeurteilung eines gefährlichen Werkzeuges nicht auf die Anzahl der gezogenen Zähne ankäme.

Der Umstand, dass der (Zahn-)arzt grundsätzlich zur regelrechten Bedienung der Zange und des Ziehens in der Lage war, hat bei der Beurteilung keine Rolle gespielt.

Kritische Stimmen

Kritiker der OLG-Rechtsprechung könnten die Annahme einer gefährlichen Körperverletzung mit einer teleologischen Reduktion des gefährlichen Werkzeugs ablehnen, da ein medizinisches Instrument in der Hand eines Arztes weniger gefährlich als in der Hand eines möglichen Angreifers sei, jedenfalls wenn der Eingriff lege artis durchgeführt worden ist. Diese Ansicht würde jedoch in diesem konkreten Fall auch nicht weiterhelfen.

Bedeutung für die Praxis

Zu berücksichtigen ist, dass die gefährliche Körperverletzung erst nach zehn und nicht wie bei der einfachen Körperverletzung nach fünf Jahren verjährt (vgl. § 78 III Nr. 3 StGB).

Ebenso hat die gefährliche Körperverletzung mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zehn Jahren (Ausnahme minderschwerer Fall) eine deutlich höhere Strafandrohung wie die einfache Körperverletzung (Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren).

Zusammenfassung

Aus juristischer Sicht ist die OLG-Rechtsprechung begrüßenswert, da sie die jahrelange höchst umstrittene Sonderdogmatik bei ärztlichen Heilinstrumenten systematisch nachvollziehbar auflöst. Nach den bisherigen Stimmen aus dem Schrifttum scheint auch Einigkeit darüber zu bestehen, dass man aus heutiger Sicht die Eigenschaft eines gefährlichen Werkzeuges bei medizinischen Instrumenten jedenfalls nicht mehr mit dem vom BGH vertretenen Angriffs- oder Verteidigungscharakter begründen kann. Vielmehr ist zu fragen, ob das Instrument nach seiner Beschaffenheit im Einzelfall geeignet ist, erhebliche Verletzungen zu verursachen.

Daher bleibt abzuwarten, ob der BGH künftig dem OLG Karlsruhe folgen wird oder zum Beispiel die von den Juraprofessoren Mohamad El-Ghazi und Till Zimmermann ins Spiel gebrachte teleologische Reduktion anwenden könnte.

Für die Zahnärzte heißt es umso mehr: Patienten immer erst vollumfassend vor einem Eingriff aufklären und eine wirksame Einwilligung einholen! Dann sollten die eben dargestellten strafrechtlichen Ausführungen hoffentlich nur theoretischer Natur bleiben.

Autor: Johannes T. Kayser