Heißt alt werden auch krank werden?
D&W RedaktionWelchen Einfluss hat das Altern auf die Allgemeingesundheit und die Mundgesundheit? Wie kann man aus Perspektive von Zahnmedizinern und Medizinern gesund altern? Und ab welchem Altern gilt man eigentlich als alt? Das und mehr hören sie in dieser Folge des Podcasts Medizin trifft Zahnmedizin.
Immer mehr alte Menschen, immer weniger junge: Längst sieht man in Deutschland die Auswirkungen des demografischen Wandels. So betrug der Anteil der ab 65-Jährigen im Jahr 2024 23 Prozent, im Jahr 1991 lag er dagegen noch bei 15 Prozent, wie das Statistische Bundesamt berichtet. Auch in Arzt- und Zahnarztpraxen steigt damit die Zahl der älteren Patientinnen und Patienten und die Relevanz einer seniorengerechten Praxis.
Doch nicht nur das: An niemandem geht das Alter spurlos vorbei. Falten, schlechteres Hörvermögen, ein schwächeres Immunsystem, Zahnabrieb, geringere Speichelfließrate, verändertes Geschmacksempfinden. In dieser Folge von Medizin trifft Zahnmedizin geht es daher etwa darum, welchen Risikofaktor das Alter für die Entstehung von Krankheiten hat, warum manche Menschen besonders alt werden und darum, wie man gesund altern kann. Günter Nuber, Gesamtredaktionsleiter Deutschland MedTriX Group, spricht mit Prof. Dr. Gerhard Schmalz, Professor für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie an der Medizinischen Hochschule Brandenburg Theodor Fontane, und Prof. Dr. Thomas Ebert, Facharzt für Innere Medizin, Endokrinologie und Diabetologie am Universitätsklinikum Leipzig.
Alter als Risikofaktor für Krankheiten
“Welche Rolle spielt der alleinige Faktor Alter für die Krankheitsentstehung und Krankheitsprogression?” Das wollte Moderator Günter Nuber von seinen Gästen wissen. “Alter ist natürlich einer der Hauptrisikofaktoren für die allermeisten Erkrankungen”, sagt Diabetologe Ebert. Es komme allerdings nicht unbedingt auf das Alter an sich an, sondern darauf welches sogenannte biologische Alter vorliegt – verglichen mit einer gleichaltrigen Vergleichsgruppe. “Hier haben bestimmte Erkrankungen eine sogenannte age acceleration, also eine Altersbeschleunigung, dass sie also in bestimmten Organen schneller altern als der restliche Organismus.”
Bei der Mundgesundheit sei ebenfalls das Alter selbst ein unabhängiger Risikofaktor für Erkrankungen, so Zahnmediziner Schmalz. Besonders relevant seien hier die altersbedingten Veränderungen: “Also Mundtrockenheit, Veränderung der Zellregeneration. Das merkt man am ganzen Körper, aber genauso auch im Zahnhalterapparat. Die Zellen sind nicht mehr so regenerationsfreudig und in einem System, dass permanent Belastung ausgesetzt ist, (...) wie der Zahnhalterapparat, ist natürlich die Regenerationsfähigkeit auch ein ganz relevanter Faktor für Erkrankungsentstehung oder auch für Abnutzung. (...) Hinzu kommt dann, was auch den Zahn- und Kieferbereich betrifft, Veränderungen des Knochenstoffwechsels möglicherweise, auch degenerative Veränderungen im Bereich des Kiefergelenks, Veränderung der Kaumuskulatur.” Ein Zahnverlust und eine daraus folgende Funktionseinschränkung des Gebisses sei ebenfalls ein relevanter Faktor für Erkrankungen.
Ob Zahnmediziner Schmalz es leichter findet, alte oder junge Patientinnen und Patienten zu behandeln und wie alt die älteste Patientin war, die er behandelt hat, hören Sie im Podcast.
Ab welchem Alter gilt man als alt?
Doch wann ist man überhaupt alt? “Grundsätzlich, klar, kann man das am chronologischen Alter festmachen und sagen, meinetwegen, mit dem Renteneintritt beispielsweise ist jemand alt”, sagt Zahnmediziner Schmalz im Podcast, “Ich glaube, heute zeitgemäß ist es tatsächlich, zu sagen, dass das Altsein eine Sache ist, die von verschiedenen Parametern (abhängt). (...) Und da muss man eigentlich sagen, ein Mensch ist aus meiner persönlichen Sicht dann alt, wenn altersassoziierte Einschränkungen in so einem Umfang eingetreten sind, dass der Mensch in seinem Alltag irgendwo beeinträchtigt ist.”
Diabetologe Ebert betont, dass man biologisches und chronologisches Alter trennen müsse. Er interessiert sich besonders für ein organspezfisches Alter: “Wir wissen, dass ein organspezifischer Alterungsprozess durch verschiedene Stoffwechselwege bedingt ist. Zum Beispiel eine mitochondriale Dysfunktion, zum Beispiel eine zelluläre Seneszenz, also eine zelluläre Alterung. zum Beispiel eine genomische Instabilität, eine Telomere-Abnutzung, ein Stammzell-Ausbrennen.”
Er berichtet außerdem von Patienten in der Uniklinik, die mit 100 Jahren typische Erkrankungen für ihr Alter haben. “Und wenn man im Bett daneben einen Menschen hat, der 50 Jahre alt ist, hat er teilweise den gleichen Zustand, die gleichen Erkrankungen, die gleichen akuten Ereignisse. Und das ist schon beeindruckend, wie gleiche Phänotypen, gleiche Erkrankungen in unterschiedlichem Alter auftreten. Und es ist bislang nicht verstanden, warum ein Mensch schon im Alter von 50 oder 60 in ein erhöhtes und vorschnelles, also ein premature aging einhergeht und die anderen im Prinzip (...) resistent dagegen sind”, sagt der Diabetologe.
Was Zahnmedizin Schmalz dahingehend beobachtet hat und was er glaubt, warum bestimmte Menschen sehr alt werden, hören Sie im Podcast.
Wie kann man gesund altern? Welche Strategien können Zahnärzte und Ärzte ihren Patienten mitgeben?
Doch wie kann man überhaupt gesund altern? “Ich glaube, da gibt es zwei Facetten”, sagt Zahnmediziner Schmalz, “Das eine ist: Man muss natürlich ein bisschen Glück haben, um auch alt werden zu können. Man muss also idealerweise auch von der Genetik, von der Physiologie so gut aufgestellt sein, dass man überhaupt die Voraussetzungen hat. Und da hat man hat man leider keinen Einfluss drauf, muss man auch so sagen. Aber worauf wir natürlich sehr viel Einfluss haben, ist die Lebensweise.” Dabei spielen zahnmedizinisch gesehen auf der einen Seite die Ernährung und die Mundhygiene eine Rolle, so Schmalz: “Aber eben (...) auch Bewegung, Stressreduktion, Aktivität. Das sind alles auch Faktoren, die, glaube ich, zum gesunden Altwerden erforderlich sind (...) und auch zur Mundgesundheit in hohem Alter erforderlichen sind."
Ein großes Problem sei aber heutzutage in der zahnärztlichen Praxis Folgendes, so Schmalz im Podcast: “Wenn ich meinen Patienten in der Behandlung immer sage: reduzieren Sie Stress, ernähren Sie sich gesund, bewegen Sie sich, kaufen Sie sich einen Hund, gehen Sie in den Wald spazieren. Dann sagen die: das würde ich ja gerne, aber ich habe den stressigen Job und drei Kinder und das Auto muss bezahlt werden. Und dann schmeckt mir das Gemüse nicht, was so gesund ist. Und dann kommen so viele Faktoren dazu, die das natürlich auf Patientenebene schwierig machen. Und da liegt aus meiner Sicht eine sehr, sehr große Aufgabe, die auch die Zahnmedizin und die gesamte restliche Medizin gemeinsam haben, Patienten eben besser auch individuell abzuholen, zu betreuen, auch zu überlegen, wie kann man da Strategien mit dem Patienten individuell gemeinsam entwickeln, die der Patient dann auch umsetzt."
Ebert berichtet ergänzend von Forschungen aus seiner Zeit in Stockholm: “Es gibt erste Ansätze, wie man dieses Konzept eines biologischen versus chronologischen Alters nutzen kann. Und eine der vulnerabelsten Kohorten sind - hier aus unserem Gebiet zumindest - Menschen an der Dialyse. Diese Menschen an die Dialyse zeigen (...) ein vorschnelles Alter und es gibt so ein paar epigenetische Uhren, mit denen man dann abschätzen kann, wie alt ist denn das biologische Alter dieser Menschen wirklich an der Dialyse. Das sind so die ältesten Patientinnen und Patienten, die wir eigentlich haben. Das heißt, hier haben wir teilweise ein biologisches Alter von über 150 Jahren bei einem Menschen, der vielleicht chronologisch 70 Jahre alt ist."
In Stockholm verglichen sie dann ein Jahr Dialysetherapie mit einer Nierentransplantation, so Ebert: “Wir wissen von der Dialyse, dass die nichts an der Inflammation ändert, nichts am oxidativen Stress, der erhöht ist. Wir wissen aber, dass die Nierentransplantation diese Aspekte reduzieren kann. Und wir sehen dann auch nach einem Jahr nach der Transplantation im Vergleich zu einem Jahr kontinuierliche Hämodialyse, dass die Menschen, denen Nieren transplantiert wurden, jünger wurden. Und das klingt jetzt eventuell plakativ, aber diese epigenetischen Uhren, die wir genutzt haben, zeigen an, dass das biologische Alter nach Transplantation fällt, wohingegen das biologische Alter an der Dialyse völlig gleichbleibt. Es gibt erste Ansätze, dass man diese Diskussion, was ist denn Alter, was ist denn biologischen Alter, therapeutisch auch nutzen kann für spezielle Patientinnen und Patienten.”
Welche weiteren Tipps die beiden Experten für ein gesundes Altern haben, warum Zahnmediziner Schmalz seine Urgroßmutter als Vorbild sieht und ob Diabetologe Ebert lieber in Deutschland oder in Skandinavien alt sein wollte, hören Sie im Podcast.
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Disclaimer: Aus Gründen der besseren Verständlichkeit wird in diesem Podcast hin und wieder nur das generische Maskulinum verwendet. Die hier verwendeten Personenbezeichnungen beziehen sich jedoch – sofern nicht explizit kenntlich gemacht – auf alle Geschlechter.