Aufklärung in der Zahnarztpraxis – Pflicht oder Kür?
Nadine EttlingDer Alltag in der Praxis ist geprägt von Effizienz, Fachwissen und dem ständigen Spagat zwischen medizinischer Notwendigkeit und bürokratischem Aufwand. Ein Thema, das einen Zahnarzt oder eine Zahnärztin regelmäßig beschäftigt, ist die Patientenaufklärung vor Eingriffen. Während viele Praxen längst etablierte Standards und Routinen eingeführt haben, gibt es doch immer wieder Unsicherheiten und Diskussionen. Ist die Aufklärung bloßer Formalismus und kann sie reduziert oder gar ausgelassen werden? Oder bleibt es eine unverrückbare Pflicht des Behandlers? Welche Risiken und Fallstricke gibt es?
Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten: Fundament der Aufklärung
Die rechtliche Verpflichtung zur Aufklärung ist keine Schikane, sondern unmittelbare Folge des verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrechts jedes Patienten. Ohne eine fundierte und rechtzeitige Information ist es dem Patienten nicht möglich, wirksam in einen bevorstehenden Eingriff einzuwilligen oder diesen abzulehnen. Damit ist die ordnungsgemäße Aufklärung integraler Bestandteil einer jeden Behandlung und unmittelbare Voraussetzung für deren Rechtmäßigkeit.Juristisch handelt es sich bei der Aufklärung vor medizinischen – und somit auch zahnärztlichen – Maßnahmen also keineswegs um eine bloße Kür oder gar um eine fakultative Vorleistung. Sie ist und bleibt im Alltag eine echte Pflicht, deren Verletzung schwerwiegende Konsequenzen haben kann.
Gesetzliche Grundlage: Informations- und Aufklärungspflichten nach BGB
Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) regelt die Anforderungen an die Aufklärung und Information von Patienten in den §§ 630c und 630e. Dabei ist zwischen der allgemeinen Informationspflicht (§ 630c BGB) und der sogenannten Einwilligungsaufklärung (§ 630e BGB) zu unterscheiden:
Informationspflichten (§ 630c BGB): Hierunter fällt die sogenannte therapeutische Aufklärung, d. h. die Belehrung über das angemessene Verhalten vor und nach der Behandlung, über wirtschaftliche Hintergründe und etwaige Behandlungsfehler.
Einwilligungsaufklärung (§ 630e BGB): Sie umfasst die klassische, mündliche Aufklärung durch den für den Eingriff qualifizierten Arzt oder Zahnarzt über sämtliche für die Einwilligung wesentlichen Umstände – wie Art, Umfang, Durchführung, erwartbare Folgen, Risiken, Alternativen und Erfolgsaussichten des Eingriffs.
Das Gesetz verlangt ausdrücklich, dass die Aufklärung rechtzeitig und im persönlichen Gespräch erfolgt. Schriftliche Merkblätter oder Videos können das Gespräch allenfalls ergänzen, aber niemals ersetzen.
Inhalte und Umfang der Aufklärungspflicht
Die ordnungsgemäße Aufklärung muss sich auf sämtliche für die Einwilligung wesentlichen Umstände beziehen – insbesondere auf:
Art und Umfang des vorgesehenen Eingriffs
Durchführung und Ablauf
Erwartbare Folgen und Risiken
Notwendigkeit und Dringlichkeit
Eignung und Erfolgsaussichten im Hinblick auf Diagnose oder Therapie
Medizinisch gebotene Alternativen (sofern unterschiedliche Methoden zu abweichenden Risiken, Belastungen oder Heilungschancen führen könnten).
Wichtig: Die Aufklärung muss patientengerecht, also in verständlichen Worten und in einer dem konkreten Patientenalter und Bildungsstand angemessenen Weise erfolgen. Notfalls sogar mit Dolmetscher, wenn der Eindruck entsteht, dass der Patient oder die Patientin den Ausführungen nicht folgen kann. Standardisierte Formulare können helfen, ersetzen aber nicht das individuelle Gespräch.
Die Grenzen der Aufklärung: Lässt das Recht Ausnahmen zu?
Die Praxis ist oft schneller als das Recht: Nicht selten erscheint eine umfassende Aufklärung – vor allem bei Routineeingriffen oder unter Zeitdruck – als überflüssige oder hinderliche Formalie.
Doch wann kann auf eine Aufklärung ganz oder teilweise verzichtet werden? Welche Ausnahmen kennt das medizinische Haftungsrecht?
Notfallsituationen
In akuten medizinischen Notfällen kann nicht immer ein umfassendes Aufklärungsgespräch geführt werden. Oftmals ist der Patientin/dem Patienten dies gar nicht möglich oder schlicht keine Zeit vorhanden. In solchen Fällen gelten reduzierte Anforderungen an die Aufklärung. Je dringlicher der Eingriff für die Gesundheit ist, desto geringer die Anforderungen an die Aufklärung.Der bereits aufgeklärte Patient
Auch für Patienten, die entweder selbst Mediziner oder Heilkundige sind und den Eingriff vollumfänglich verstehen, oder die sich bereits mehrfach demselben Eingriff unterzogen haben, kann die Aufklärungspflicht – zumindest in Teilen – entfallen. Zahnärztinnen und Zahnärzte sind hier jedoch gut beraten, im Zweifel lieber einmal zu viel als zu wenig aufzuklären. Die Beweislast für das Vorliegen einer Ausnahme liegt nämlich schlussendlich stets beim Behandelnden.Verzicht des Patienten auf Aufklärung
Wenig bekannt – aber rechtlich möglich: Ein volljähriger, geschäftsfähiger Patient kann ausdrücklich (und nicht stillschweigend!) auf die Aufklärung verzichten. Dieser Verzicht ist an strenge Anforderungen gebunden und muss vom Patienten klar, deutlich und unmissverständlich erklärt werden. Voraussetzung ist, dass der Patient die Erforderlichkeit, Art und Risiken des Eingriffs zutreffend erkannt hat.Wichtig aus haftungsrechtlicher Sicht: Der Verzicht sollte nicht nur dokumentiert, sondern idealerweise auch schriftlich fixiert werden – inklusive Zeitpunkt, Grund und Umfang des Verzichts, bestenfalls unterzeichnet vom Patienten selbst.
Dokumentation: Schlüsselfaktor für Rechtssicherheit
Der gute Wille allein reicht nicht – vor allem dann nicht, wenn nach Jahren ein Haftungsprozess ins Haus steht und Erinnerungslücken klaffen. Die ordnungsgemäße, lückenlose Dokumentation jedes Aufklärungsgesprächs ist deshalb das zentrale Sicherungsinstrument für jede Praxis – und zwar sowohl bei der „klassischen“ Aufklärung als auch bei Ausnahmen und insbesondere beim Verzicht des Patienten.
Es empfiehlt sich, standardisierte Aufklärungsprotokolle zu verwenden und diese durch individuelle Ergänzungen zu personalisieren. Wichtige Inhalte (Thema des Gesprächs, besprochene Risiken, angebotene Alternativen, Reaktion des Patienten, offene Fragen, unterschriebener Aufklärungsbogen) sollten konkret festgehalten werden. Wird der Verzicht auf Aufklärung erklärt, so ist darauf zu achten, dass dieser handschriftlich von Patientin oder Patient bestätigt wird. Alle wesentlichen Fragen – Zeitpunkt, Umfang und Grund des Verzichts – sollten dokumentiert werden. Im Streitfall trägt die/der Behandelnde die Beweislast dafür, dass der Verzicht tatsächlich wirksam erklärt wurde.
Der Streitfall: Darlegungs- und Beweislast
Zahnärzte werden aus ihrer Praxis wissen: Kommt es zum Haftungsprozess, stehen nicht selten Wort gegen Wort und Erinnerungen gegen Erinnerungen. Entscheidend ist dann, wer was beweisen kann. Im Streitfall liegt die Darlegungs- und Beweislast für eine ordnungsgemäße Aufklärung bzw. für das Vorliegen einer Ausnahmekonstellation (z. B. Notfall, Verzicht, bereits aufgeklärter Patient) bei der behandelnden Zahnärztin oder dem Zahnarzt. Gelingt es nicht, die entsprechende Aufklärung oder einen wirksamen Verzicht nachzuweisen, können Schadensersatzforderungen und Regressansprüche drohen.
Im Haftungsprozess wird von Gerichten die sogenannte „hypothetische Einwilligung“ geprüft: Ist davon auszugehen, dass der Patient auch nach ordnungsgemäßer Aufklärung eingewilligt hätte, entfällt möglicherweise die Haftung. Hierfür trägt jedoch der Behandler die Beweislast.
Typische Fallstricke vermeiden
„Standardaufklärung“ durch Formular ohne persönliches Gespräch: Reicht nicht. Unbedingt persönlich besprechen.
Aufklärung unter Zeitdruck: Besser ein kurzes, aber vollständiges Gespräch als ein ausführliches und nicht dokumentiertes.
Fehlende oder lückenhafte Dokumentation: Bei unklarer Dokumentationslage wirkt diese zugunsten der Patientin/des Patienten.
Verzichtserklärungen ohne Nachweis: Ein bloßes „Ich will nichts hören“ schützt nicht, wenn nicht belegt werden kann, dass der Patient wusste, worauf er verzichtet.
Im Zweifel bei der Pflicht: Im Zweifel lieber aufklären, auch wenn der Patient meint, alles zu wissen. Die Beweislast liegt im Streitfall beim Behandelnden.
Fazit: Aufklärung in der Zahnarztpraxis keine Kür, sondern Pflicht
Die zahnärztliche Aufklärung ist keine Kür, sondern unentziehbare, gesetzliche Pflicht mit hoher praktischer Relevanz für Haftung und Patientensicherheit. Auch wenn sich im Alltag viele Situationen ergeben, in denen eine vollständige oder erneute Aufklärung lästig oder gar hinfällig erscheint: Verstehen Sie die Aufklärung nicht als bürokratische Last, sondern als Ausdruck von Respekt, Professionalität – und als Instrument, das sowohl Ihre Patientinnen und Patienten als auch Sie selbst schützt.
Nadine Ettling
Lyck+Pätzold healthcare.recht (Website)