Wann müssen Arbeitgeber Überstunden bezahlen?
Judith MeisterMehrarbeit im Praxisbetrieb ist oft nicht zu vermeiden. Eine Bezahlung dürfen Arbeitnehmer für ihre Überstunden aber nicht immer erwarten. Ein Überblick für Praxischefs und Mitarbeiter.
Eine ungewöhnlich hohe Anzahl an Schmerzpatienten: Ein Kleinkind, dass kurz vor 18 Uhr mit einem ausgeschlagenen Zahn in die Praxis kommt. Eine neue Praxissoftware, deren Handhabung noch Probleme bereitet… Es gibt viele Gründe, warum in einer Zahnarztpraxis auch mal länger gearbeitet werden muss. Damit Praxischefinnen und Praxischefs die Belegschaft zu Überstunden verpflichten können, sehen die meisten Standardarbeitsverträge eine Ermächtigung für den Arbeitgeber vor, bei Bedarf Mehrarbeit anzuordnen. Das ist grundsätzlich nicht zu beanstanden.
Häufig findet sich in Arbeitsverträgen aber auch Klauseln, wonach „etwaige Überstunden mit dem regulären Gehalt des Arbeitnehmers abgegolten sind“. Das klingt nach einer arbeitgeberfreundlichen Lösung. Allerdings sind solche Formulierungen in der Regel das Papier nicht wert, auf das sie gedruckt sind. Denn zumindest die pauschale Abgeltung von Überstunden mit dem Festgehalt hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) bereits gekippt (Az.: 5 AZR 517/09).
Die Erfurter Richter entschieden, dass Überstunden-Abgeltungsklauseln, die schwammig und unpräzise formuliert sind, intransparent und damit unwirksam sind. Sieht der Arbeitsvertrag also vor, dass „üblicherweise anfallende Überstunden“, „Mehrarbeit im üblichen Umfang“ oder „Überstunden in einem angemessenen Rahmen“ mit dem Gehalt abgegolten sind, sind diese Klauseln unwirksam – und der Arbeitnehmer kann für seine überobligatorische Arbeit eine Vergütung oder entsprechenden Freizeitausgleich verlangen.
(Nur) die pauschale Abgeltung von Überstunden ist in der Regel unwirksam
Das bedeutet allerdings nicht, dass Abgeltungsklauseln grundsätzlich ins Leere laufen oder verboten sind. Damit sie wirksam sind, müssen Arbeitgeber jedoch penibel darauf achten, dass der Vertrag klar definiert, welche konkrete zusätzliche Arbeitsleistung mit dem Standard-Gehalt „mitbezahlt“ sein soll. Wichtig ist es vor allem, die Zahl der Überstunden nennen, die im Gehalt inbegriffen sein sollen.
Je nach Vertrag können daher Formulierungen zulässig sein, wonach beispielweise „pro Monat bis zu zehn Überstunden mit dem Gehalt abgegolten sind“. Auch prozentuale Angaben sind grundsätzlich erlaubt. Zahnärztinnen und Zahnärzte mit eigener Praxis dürfen also auch für ihre Mitarbeiter im Arbeitsvertrag regeln, dass mit dem Gehalt Überstunden im Umfang von - beispielsweise - bis zu zehn Prozent des über die vereinbarte Wochenarbeitszeit hinausgehenden Arbeitspensums abgegolten sind.
Klare Vorgaben in Arbeitsverträgen sind (oft) erlaubt
Dennoch sollten Praxischefs bei der Formulierung der Klauseln mit Augenmaß agieren: Denn selbst klar formulierte Regelungen können unwirksam sein, wenn sie eine Arbeitnehmerin oder einen Arbeitnehmer unangemessen benachteiligen. Und weil es keine gesetzliche Vorgabe gibt, die die zulässige Zahl an Überstunden regelt, entscheiden die Gerichte in jedem Einzelfall, ob eine solche Benachteiligung vorliegt.
Beim obigen Beispiel von bis zu zehn Überstunden im Monat sollte allerdings keine Gefahr drohen. Das geht aus einem jüngeren Urteil des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern hervor.
Im konkreten Fall hatte ein Arbeitnehmer mit einer 40-Stunden-Woche und einem Bruttomonatsgehalt von 1.800 Euro seinen Arbeitgeber verklagt und die Vergütung von knapp 90 Überstunden verlangt. Sein Arbeitsvertrag enthielt eine Regelung, nach der bis zu zehn Überstunden mit der monatlichen Grundvergütung abgegolten waren. Der Kläger hielt dies für unwirksam – scheiterte aber mit seiner Klage.
Das LAG entschied, dass die Klausel nicht überraschend sei und den Arbeitnehmer auch nicht unangemessen benachteilige. Eine klar formulierte Abrede zur Überstundenabgeltung könne vielmehr auch bei einer vergleichsweise niedrigen Jahresvergütung getroffen werden, solange dadurch faktisch nicht der Mindestlohn unterschritten werde oder ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung entstehe (LAG Mecklenburg-Vorpommern, Az.: 2 Sa 26/21).
Besserverdiener müssen trotzdem unbezahlte Überstunden leisten
Keinen Anspruch auf eine Vergütung ihrer Überstunden haben hingegen Arbeitnehmer, die ein Gehalt jenseits der Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung erzielen. Wer im Jahr 2025 also mehr als 96.600 Euro brutto pro Jahr verdient (89.400 Euro im Osten), muss, wenn es erforderlich und angeordnet ist, auch ohne Vergütung länger arbeiten (vgl. BAG, 22.02.2012, Az. 5 AZR 765/10).
Gleiches gilt in der Regel für angestellte Zahnärzte, da diese eine Dienstleistung höherer Art und Güte erbringen und in diesen Berufsgruppen – zumindest im nicht tariflich geregelten Bereich – keine Überstundenvergütung stattfindet.