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Zahnmedizin
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Unklarheit über Zusammenhang von Parodontitis und neurologischen oder psychiatrischen Krankheitsbildern

Neben den mittlerweile weitgehend nachgewiesenen und wissenschaftlich akzeptierten Assoziationen parodontaler Erkrankungen mit kardiovaskulären und metabolischen Krankheitsbildern, besteht trotz einer beeindruckenden Anzahl epidemiologischer Studien Unklarheit bezüglich eines Zusammenhanges auch mit neurologischen oder psychiatrischen Krankheitsbildern. Eine italienische Arbeitsgruppe hat die Evidenz nun neu zusammengetragen und eine aktuelle Bestandaufnahme zum Einfluss parodontaler Erkrankungen auf neurokognitive Störungen, Demenz und Depressionen erarbeitet und in einer geriatrischen Fachzeitschrift publiziert.

Systematische Übersichtsarbeit zum Zusammenhang von Parodontitis und kognitiver Beeinträchtigungen, Demenz und Depression

Es wurde eine systematische Übersichtsarbeit mit dem Ziel entsprechender zusammenfassender statistischer Auswertungen in Form von Meta-Analysen konzipiert und entsprechend der aktuellen Qualitätsstandards und den PECO-Kriterien (population / Population, exposure / Exposition, control / Kontrolle, outcome / Ergebnis) durchgeführt. Fall-Kontroll-, Kohorten- und Querschnittstudien unterschiedlicher Parodontitisdefinitionen basierend auf klinischen bzw. radiologischen Kenngrößen oder selbstberichteten Symptomen parodontaler Erkrankungen wurden berücksichtigt. Bezüglich der klinischen Bestimmung der drei Outcome-Krankheitsbilder kognitive Beeinträchtigungen, Demenz und Depression wurden keine Restriktionen angewendet. Auch die methodologische Qualität der eingeschlossenen Studien bewerteten die Autoren.

Hinweise auf Einfluss von parodontalen Erkrankungen auf kognitive Beeinträchtigungen und Demenz

Die Suche nach relevanter Literatur in sechs elektronischen Datenbanken ergab zunächst 7.363 Treffer. Es folgte die stufenweise und immer detailliertere Analyse. Schlussendlich standen 46 Artikel mit 48 Datensätzen für die Beantwortung der drei Forschungsfragen zur Verfügung. Die eingeschlossenen Studien wiesen eine hohe Heterogenität hinsichtlich der eingeschlossenen Populationen, der geografischen Herkunft und der verwendeten Methoden zur Erfassung der berücksichtigten Krankheitsbilder auf. Das Risiko für systematische Fehler wurde als moderat bis hoch klassifiziert.

Zum Einfluss parodontaler Erkrankungen auf die Entstehung von Depressionen konnten 13 Datensätze ausgewertet werden, die kumulativ keinen statistisch signifikanten Effekt zeigten. Bezüglich kognitiver Beeinträchtigungen standen gesamthaft 21 Datensätze zur Verfügung. In der Metaanalyse konnte basierend auf 10 Studien mit insgesamt 10.952 Probanden ein signifikanter Zusammenhang (RR 1,25) zwischen leichten kognitiven Beeinträchtigungen, bzw. anhand von 6 Studien mit 1.123 Probanden ein signifikant erhöhtes Risiko (RR 3,01) für die Entstehung kognitiver Beeinträchtigungen binnen durchschnittlich 3,5 Jahren gezeigt werden. Zum Zusammenhang einer Parodontitis mit Demenz konnten 14 Datensätzen berücksichtigt werden. Gezeigt wurde anhand von 8 Studien mit >3 Millionen Probanden ein signifikant erhöhtes Risiko (RR 1,22) für die Entstehung einer Demenz nach durchschnittlich 11 Jahren bei Vorliegen einer Parodontitis.

Klinische Schlussfolgerungen: möglicherweise in Zukunft interdisziplinäre Behandlungsschemata erforderlich

Die aktuelle demographische Entwicklung führt in Deutschland in den nächsten Jahren zu immer mehr betagten und hochbetagten Menschen. Damit verändern sich auch die gesundheitlichen Bedürfnisse und medizinischen Anforderungen. Auf der einen Seite weisen Senioren gemäß den aktuellen Daten zunehmend mehr Zähne oder eben geringere Zahnverluste auf. Auf der anderen Seite bedeutet dies aber auch einen erhöhten Bedarf an parodontaler Therapie, um diese Dentitionen (und dann ja auch den gesamten Organismus – präventiv oder therapeutisch) möglichst entzündungsfrei zu erhalten.

Auch die Prävalenz neurologischer und psychiatrischer Krankheitsbilder nimmt weltweit dramatisch zu und stellt die Gesellschaft und das Gesundheitswesen vor große Herausforderungen. Ferner besteht durch Krankheitsbilder wie Demenz oder Depression ein enormer Leidensdruck für die Betroffenen selbst und ihre – oftmals ja auch pflegenden – Angehörigen. Die hier vorliegende umfassende Analyse der derzeitigen wissenschaftlichen Beweislage zeigt, auch unter statistischer Beachtung zahlreicher Faktoren, einen statistisch signifikanten Einfluss parodontaler Erkrankungen auf neurokognitive Beeinträchtigungen und Demenz.

Demgegenüber konnte kein wesentlicher Effekt auf die Entstehung von Depressionen gezeigt werden. Zu berücksichtigen ist hierbei allerdings, die multifaktorielle Pathogenese der hier analysierten Krankheitsbilder, die zudem zahlreiche gemeinsame Risikofaktoren aufweisen. Zu nennen sind da zuvorderst ein niedriger sozioökonomischer Status häufig assoziiert mit eingeschränkter Bildung, weiblichem Geschlecht und krankheitsfördernden Angewohnheiten wie Zigaretten- und übermäßigem Alkoholkonsum. Auf dieser Patientengruppe liegt demnach ein (zukünftiges) Zentrum der therapeutischen (und wissenschaftlichen) Herausforderungen sowohl parodontaler als auch neurokognitiver und psychiatrischer Erkrankungen gegebenenfalls – wenn sich die Daten weiter bestätigen – auch in Form interdisziplinärer Behandlungsschemata.

Quelle:

Dibello V, Custodero C, Cavalcanti R, Lafornara D, Dibello A, Lozupone M, Daniele A, Pilotto A, Panza F, Solfrizzi V. Impact of periodontal disease on cognitive disorders, de-mentia, and depression: a systematic review and meta-analysis. Geroscience. 2024 Oct;46(5):5133-5169.

Prof. Dr. Clemens Walter

Prof. Dr. med. dent. Clemens Walter

Abteilung für Parodontologie, Oralmedizin und Oralchirurgie Charité Centrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde

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