Erhöhte systemische Entzündungsparameter nach subgingivaler Instrumentierung
Prof. Dr. med. dent. Clemens WalterProf. Dr. Clemens Walter stellt eine preisgekrönte Studie vor, die der Frage nachgeht, ob und inwiefern zeitlich unterschiedliche Abläufe der subgingivalen Instrumentierung zur Behandlung von Parodontitis einen systemischen Effekt aufweisen.
Behandlung der Parodontitis hat auch Einfluss auf Allgemeingesundheit
Unbehandelte parodontale Erkrankungen gehen einher mit einer Entzündung des Zahnhalteapparates. Die Ausprägung dieser Inflammation ist zuvorderst abhängig von der Anzahl und Tiefe – und auf Sondierung blutender – parodontaler „Taschen“. Auf die zunehmende bakterielle Besiedlung der „Taschen“ reagiert der menschliche Organismus mit einer Entzündungsreaktion, die durch eine Erhöhung verschiedener Marker im Sulkus oder in Form von histologisch aufbereiteten Biopsien sichtbar gemacht werden kann. Insbesondere bei fortgeschrittenen und unbehandelten parodontalen Erkrankungen ist diese immunologische Reaktion auch im Blut, beispielsweise über eine Erhöhung des Entzündungsparameters C-reaktives Protein (CRP) messbar.
Neben den unmittelbaren systemischen Effekten vorübergehender dentogener Bakteriämien auf verschiedene periphere Organe und/oder Organsysteme stellt diese systemische parodontale Entzündungsreaktion eine weitere mögliche Ursache für die breite Palette mit Parodontitis assoziierter Krankheitsbilder wie kardiovaskulären oder metabolischen Erkrankungen dar. Das bedeutet, dass durch eine systematische parodontale Therapie, mit dem Angelpunkt der Instrumentierung der entzündeten „Taschen“, nicht nur der orale Zustand, sondern vielmehr auch der Gesundheitszustand des „gesamten“ Körpers beeinflusst wird. Es wäre daher von übergeordneter klinischer Relevanz zu erfahren, ob und inwiefern zeitlich unterschiedliche Abläufe der subgingivalen Instrumentierung einen systemischen Effekt aufweisen. Diese Frage wurde bereits vor einigen Jahren von einer mittlerweile dafür prämierten italienischen Arbeitsgruppe adressiert und in einer hochstehenden Fachzeitschrift publiziert.
Unterschiedliche Abläufe der subgingivalen Instrumentierung getestet
Im Rahmen einer randomisierten kontrollierten Studie wurden 38 Parodontitispatienten auf zwei Behandlungsgruppen verteilt. Während in einer Gruppe die eher traditionelle quadrantenweise subgingivale Instrumentierung (Qu-SRP) an vier Terminen mit etwa wöchentlichem Abstand durchgeführt wurde, fand die Instrumentierung der entzündeten Parodontien in der Vergleichsgruppe (FM-SRP) in zwei Therapiesequenzen binnen 24 Stunden statt. Hierzu wurden – wenn nötig unter Lokalanästhesie – Handinstrumente und Ultraschallgeräte ohne eine zeitliche Limitierung verwendet. Zu unterschiedlichen Zeitpunkten dokumentierten die Untersuchenden klinische Parameter und entnahmen Blutproben.
Unterschiede bei Anstieg der Entzündungsparameter beobachtet
Die Gesamtbehandlungszeit war in der Qu-SRP Gruppe etwa 10 Minuten länger als in der FM-SRP Gruppe. Die hinsichtlich der zeitlichen Abfolge unterschiedlichen Ansätze führten zu vergleichbaren klinischen parodontalen Ergebnissen, wie etwa der Anzahl Stellen mit Sondierungstiefen > 4 oder > 5 mm drei Monate nach der Instrumentierung. Hinsichtlich der Blutparameter Lipidkonzentrationen (HDL, LDL, TG, Gesamt-Cholesterin), lösliche Adhäsionsmoleküle, Interferon gamma oder der Interleukine 8, 10 und 12 bestanden keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen zu den Zeitpunkten 1 Tag, 7 oder 90 Tage nach subgingivaler Instrumentierung eines Quadranten (Qu-SRP) bzw. der gesamten Dentition (FM-SRP). In der FM-SRP war demgegenüber jedoch ein hochsignifikanter Anstieg der Entzündungsparameter Interleukin-6, Tumornekrosefaktor alpha und CRP einhergehend mit einer Erhöhung der Körpertemperatur an Tag 1 detektierbar. Die Werte fielen bereits in den Tagen danach wieder ab und erreichten nach etwa 90 Tagen wieder das Ausgangsniveau.
Klinische Schlussfolgerungen: Die Auswirkungen der unterschiedlichen Behandlungsabläufe auf Patienten und Entscheidungsfindung in der Zahnarztpraxis
Mittlerweile ist eine Angabe der Ausdehnung der betroffenen parodontalen Wundfläche in Form des sogenannten PISA-scores (periodontally inflammed surface area) im Verhältnis zur Größe einer durchschnittlichen Handinnenfläche in vielen Praxen bereits etabliert. Digitale Softwares, z. B. Parostatus, rechnen den entsprechenden PISA-Wert anhand der zuvor erhobenen klinischen Parameter aus und stellen die Größe der Wundfläche in der Folge grafisch dar. Das gibt dem Behandelnden eine Orientierung und kann dazu dienen, dem Patienten die klinische Problematik anschaulich, beispielsweise während des Aufklärungs- und Therapiegespräches, vor Augen zu führen.
Von hier ist es jetzt nicht mehr weit zu verstehen, welche immunmodulatorischen Effekte die (notwendige!) mechanische Therapie einer solchen – mitunter flächenmäßig recht eindrücklichen – Entzündung aufweisen kann. Grundsätzlich bei allen, insbesondere aber bei allgemeinmedizinisch kompromittierten Patienten mit ausgeprägter parodontaler Entzündung, sollte daher im Rahmen der Entscheidungsfindung hinsichtlich der zeitlichen Abfolge der subgingivalen Instrumentierung genau überlegt werden, welche Ausprägung an systemischer Entzündung bei einem gegebenen Patienten erwartbar und hinsichtlich etwaiger systemischer Effekte auch vertretbar ist.
Im Zweifel gilt: Patientensicherheit zuerst! Das heißt im Vergleich zu einer stark konzentrierten subgingivalen Instrumentierung binnen 24 Stunden sollte in diesen Fällen eher ein quadrantenweises Vorgehen mit mehrtägigen Abständen zwischen den einzelnen Behandlungsepisoden gewählt werden. Eine Konsultierung des Hausarztes oder zusätzliche begleitende antimikrobielle Maßnahmen können zudem weitere Stellschrauben zur Vermeidung von unerwünschten Nebenwirkungen der subgingivalen Instrumentierung im Rahmen der Stufe 2 der systematischen parodontalen Therapie darstellen.
Quelle:Graziani F, Cei S, Orlandi M, Gennai S, Gabriele M, Filice N,Nisi M, D‘Aiuto F. Acute-phase response following full-mouthversus quadrant non-surgical periodontal treatment: A randomized clinical trial. J Clin Periodontol. 2015 Sep;42(9):843-852.