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Recht & Steuern

Die Einreise nach Deutschland aus einem Staat, der nicht zum Europäischen Wirtschaftsraum gehört, bedarf im Regelfall eines Aufenthaltstitels, der an die/den Einreisewillige/n vor der Einreise in das Bundesgebiet erteilt werden muss. Ausnahmen zu diesem Prozedere können bestehen, wenn Deutschland oder die EU mit Drittstaaten zur Einreise bzw. zum Aufenthalt völkerrechtliche Abkommen geschlossen haben, die auf diesen Gebieten vorrangige Sonderregelungen treffen. Bis dato haben weder Deutschland noch die EU mit der Ukraine völkerrechtliche Abkommen abgeschlossen, die für die Einreise oder den Aufenthalt ukrainischer Geflüchteter Sonderregelungen vorsehen.

Aufenthaltserlaubnis nach der Massenzustrom-Richtlinie

Allerdings verabschiedete die EG bereits im Jahr 2001 eine Richtlinie 2001/55/EG („Massenzustrom-Richtlinie“), die bei Massenzustrom von Vertriebenen in die EU bestimmte Mindestnormen vorsieht. Wie die anderen Richtlinien der EG bzw. der EU enthält die Massenzustrom-Richtlinie grundsätzlich keine Regelungen, die unmittelbar in den EU-Mitgliedstaaten anwendbar sind. Vielmehr muss die betreffende Richtlinie erst von den EU-Mitgliedstaaten umgesetzt werden, um auch innerstaatlich zu gelten. In Deutschland ist die Massenzustrom-Richtlinie u. a. durch den § 24 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) umgesetzt.

Nach Art. 5 Abs. 1 der Massenzustrom-Richtlinie muss der Rat der EU durch einen Beschluss das Bestehen eines Massenzustroms von Vertriebenen feststellen, damit das Prozedere der Richtlinie für die Einreise bzw. den Aufenthalt von Vertriebenen anwendbar wird. Einen solchen Beschluss hat der Rat der EU am 04.03.2022 getroffen. Dieser Beschluss setzte zugleich das Prozedere des § 24 AufenthG zur Aufnahme von ukrainischen Vertriebenen in Kraft, da § 24 Abs. 1 AufenthG ausdrücklich einen Beschluss des Rates der EU zum Feststellen eines Massenzustroms von Vertriebenen verlangt.

Damit können Vertriebene aus der Ukraine, gestützt auf § 24 Abs. 1 AufenthG in Verbindung mit der Massenzustrom-Richtlinie der EU, in das Bundesgebiet ohne einen gültigen Aufenthaltstitel einreisen und hier eine Aufenthaltserlaubnis für einen vorübergehenden Schutz beantragen. Die betreffende Aufenthaltserlaubnis wird nach Art. 4 Abs. 1 der Massenzustrom-Richtlinie vorerst für ein Jahr erteilt und kann nach Art. 4 Abs. 2 der Massenzustrom-Richtlinie für ein weiteres Jahr verlängert werden.

Genauere Definition: Diese Flüchtlinge aus der Ukraine sind betroffen

Die Massenzustrom-Richtlinie zieht den Kreis der Betroffenen, die als Vertriebene im Sinne dieser Richtlinie gelten, weit. Nach Art. 2 lit. c) der Massenzustrom-Richtlinie gelten als Vertriebene nicht nur ukrainische Staatsangehörige, die sich vor dem 24.02.2022 in der Ukraine aufgehalten hatten. Hierzu gehören auch Personen mit der anderweitigen Staatsangehörigkeit eines Drittstaates sowie Staatenlose, sofern sie vor dem 24.02.2022 in der Ukraine unter einem internationalen oder nationalen Schutz standen, sowie andere Staatsangehörige von Drittstaaten, wenn sie sich vor dem 24.02.2022 in der Ukraine rechtmäßig und unbefristet ihren Aufenthalt hatten, sofern sie nicht sicher in ihr Herkunftsland zurückkehren können.

In Bezug auf Geflüchtete aus der Ukraine geht Deutschland bei der Gewährung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG erheblich über den Katalog der Vertriebenen nach der Massenzustrom-Richtlinie hinaus. Insbesondere können auch ukrainische Staatsangehörige eine Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG erhalten, die vor dem 24.02.2022 nach Deutschland gekommen sind, sowie weitere Personen, die sich einige Zeit vor dem 24.02.2022 rechtmäßig in der EU aufgehalten haben und nach dem Ausbruch des Krieges nicht in die Ukraine zurückkehren können.

Gesetzliche Krankenversicherung für Vertriebene aus der Ukraine

Der Antrag auf die Gewährung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 24 Abs. 1 AufenthG in Verbindung mit der Massenzustrom-Richtlinie muss von den Betroffenen innerhalb von 90 Tagen seit ihrer Einreise in das Bundesgebiet gestellt werden. Wird diese Frist gewahrt, werden betroffene Vertriebene registriert und erhalten nach § 81 Abs. 5 AufenthG eine sog. Fiktionsbescheinigung bis über ihren Antrag auf die Gewährung einer Aufenthaltserlaubnis entschieden wird.

Ukrainische Vertriebene, die nach § 81 Abs. 5 AufenthG eine Fiktionsbescheinigung erhalten haben, erhalten gem. §§ 74 Sozialgesetzbuch II (SGB II), 7 Abs. 1 SGB II Leistungen nach dem SGB II, wenn sie hilfebedürftig sowie erwerbsfähig sind und die Altersgrenze nach § 7a SGB II, abgestuft nach den Geburtsjahrgängen von 65. bis 67. Lebensjahr, nicht überschritten haben. Liegen die Voraussetzungen des §§ 74 SGB II, 7 Abs. 1 SGB II nicht vor, weil die/der Betroffene zwar hilfebedürftig, jedoch z. B. nicht erwerbsfähig oder außerhalb der Altersgrenzen nach §§ 7, 7a SGB II ist, erhält diese/r Sozialhilfe nach SGB XII gemäß § 146 SGB XII. Liegen die Voraussetzungen nach §§ 74 SGB II, 7 Abs. 1 SGB II vor, sind betroffene Leistungsberechtigte in der gesetzlichen Krankenversicherung gem. § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V pflichtversichert. Die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung werden in diesem Fall gem. § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB II vom Träger der Leistungen nach SGB II übernommen.

Ukrainische Vertriebene, die Sozialhilfe nach SGB XII beziehen, sind mangels Aufnahme in den Katalog des § 5 SGB V nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert. Gleichwohl ordnet § 264 Abs. 2 Satz 1 SGB V an, dass die Krankenkassen die Krankenbehandlung von Beziehern der Sozialhilfe zu übernehmen haben. Hierfür müssen Bezieher der Sozialhilfe nach § 264 Abs. 3 Satz 1 SGB V eine Krankenkasse im Bereich des zuständigen Trägers der Sozialhilfe auswählen, die ihnen eine elektronische Gesundheitskarte nach § 291 SGB V übermittelt. Die Aufwendungen für die Behandlung von Beziehern der Sozialhilfe werden nach § 264 Abs. 7 Satz 1 SGB V den Krankenkassen von den Trägern der Sozialhilfe vierteljährlich erstattet.

Auswirkungen auf die zahnmedizinischen Leistungen für Flüchtlinge aus der Ukraine

Damit ergeben sich bei der Honorierung von zahnmedizinischen Leistungen gegenüber den ukrainischen Vertriebenen, die nach SGB II oder SGB XII leistungsberechtigt sind, keine Unterschiede zur Honorierung entsprechender Leistungen bei anderen Beziehern des Bürgergeldes (SGB II) oder der Sozialhilfe (SGB XII).

Sind Vertriebene aus der Ukraine nicht hilfebedürftig, weil sie z. B. ausreichende Einkünfte oder hinreichendes Vermögen besitzen, haben sie keinen Anspruch auf Leistungen nach SGB II oder SGB XII. Unterfallen solche Vertriebene auch nicht unter die anderen Tatbestände des § 5 SGB V, sind die Betroffenen in Deutschland nicht gesetzlich krankenversicherungspflichtig. Für solche Fälle räumt § 417 Abs. 1 SGB V den Betroffenen die Möglichkeit ein, der gesetzlichen Krankenversicherung innerhalb von sechs Monaten nach Aufenthaltnahme im Inland beizutreten.

Die Voraussetzung für den Beitritt ist allerdings, dass bei den Antragstellern außer der fehlenden Hilfebedürftigkeit die anderen Voraussetzungen für den erlaubten Aufenthalt in der Bundesrepublik vorliegen. Insbesondere müssen die Betroffenen nach ihrer Einreise in das Bundesgebiet nach § 49 AufenthG erkennungsdienstlich behandelt worden sein und im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG oder einer Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 5 AufenthG sein.

Bei erfolgtem freiwilligen Beitritt zur gesetzlichen Krankenversicherung haben die beigetretenen ukrainischen Vertriebenen Anspruch auf den gesetzlichen Krankenversicherungsschutz, sodass im Falle von zahnmedizinischen Leistungen gegenüber solchen Personen in Bezug auf die Honorierung von solchen Leistungen keine Unterschiede zu anderen gesetzlich Krankenversicherten bestehen.

Krankenbehandlungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG)

Sofern Flüchtlinge aus der Ukraine weder die Voraussetzungen für eine Pflichtmitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung erfüllen, noch treten sie einer gesetzlichen Krankenversicherung nach § 417 SGB V freiwillig bei, kann in bestimmten Fällen für die Betroffenen die Übernahme von Kosten zahnärztlicher Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) in Betracht kommen. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG sind Leistungen für zahnärztliche Behandlungen zu gewähren, wenn die betreffende Behandlung erforderlich ist und akute Erkrankungen und Schmerzzustände zu behandeln sind. Gem. § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylbLG stellt die zuständige Behörde die Versorgung mit zahnärztlichen Leistungen sicher, indem sie die Kosten solcher Behandlungen übernimmt. Eine Besonderheit gilt für den Zahnersatz: Nach § 4 Abs. 1 Satz 3 AsylbLG erfolgt eine Versorgung mit Zahnersatz „nur, soweit dies im Einzelfall aus medizinischen Gründen unaufschiebbar ist“.

Nach § 2 AsylbLG können in besonderen Fällen, vor allem nach Ablauf einer Wartezeit von 18 Monaten, ärztliche Leistungen gewährt werden, die über den Rahmen des § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG hinausgehen und für die Betroffenen von den Krankenkassen erbracht werden. Ob diese Regelung auf Geflüchtete aus der Ukraine anwendbar sein werden, ist gegenwärtig nicht klar, insbesondere wenn die Betroffenen in Deutschland keinen Asylantrag gestellt haben.

Dr. jur. Alex Janzen

Fachanwalt für Steuerrecht, Fachanwalt für Bank- und KapitalmarktrechtRechtsanwaltskanzlei Dr. jur. Alex Janzen

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