Frauenpower: Die unsichtbare Kraft hinter einer erfolgreichen Zahnarztpraxis
Bettina VossEin Großteil der Mitarbeitenden in deutschen Zahnarztpraxen sind weiblich. Das empfindliche Hormonsystem beeinflusst die körperliche und mentale Leistungsfähigkeit des Teams.
Die Rezeption ist überlastet, Termine geraten durcheinander, die Assistenz wirkt fahrig, unkonzentriert, gereizt. Die Behandlungsräume sind nicht optimal vorbereitet, es geht Zeit verloren, weil Abläufe stocken. Ein Teil des Teams scheint erschöpft, andere weniger belastbar. Die Stimmung ist angespannt, und die Patienten spüren das – unausgesprochen, aber deutlich. Statt Leichtigkeit herrscht Anspannung. Jeder macht weiter, aber es fühlt sich schwer an und im Praxisinhaber oder der Praxisinhaberin steigen Unruhe und Nervosität auf. Offenkundig greift ein Rädchen nicht mehr richtig ins Andere. Es stellt sich die Frage: Woran liegt das? Wir sind doch eigentlich ein super Team?
Warum fühlt sich der Alltag plötzlich schwerfällig an? Warum fehlt die Energie, warum lassen Konzentration und Leistungsfähigkeit nach – nicht nur bei einer Person, sondern spürbar im gesamten Team?
Wir sind es gewohnt, zu funktionieren – in der Praxis, im Privaten, überall. Doch oft übersehen wir dabei unsere eigene Gesundheit. Erst wenn wir krank werden, wird uns bewusst, wie essenziell unser Wohlbefinden für den Praxisalltag ist. Genau wie eine gut organisierte Praxis nur funktioniert, wenn alle Zahnräder ineinandergreifen, hängt auch unsere körperliche und mentale Leistungsfähigkeit von einem fein abgestimmten System ab: unserem Hormonsystem.
Unbestritten ist, dass äußere Einflüsse das hormonelle System von Männern und Frauen gleichermaßen belasten können. Doch gerade in der Dentalbranche befinden wir uns in einer besonderen, fast einzigartigen Situation: Die Mehrheit der Mitarbeitenden ist weiblich – und damit beeinflussen hormonelle Schwankungen nicht nur das individuelle Wohlbefinden, sondern auch die Dynamik im Team und den gesamten Praxisalltag. Das weibliche Hormonsystem ist komplex, läuft in Zyklen ab, ist fein abgestimmt und in manchen Bereichen empfindlicher gegenüber äußeren Störfaktoren als das des Mannes. Genau deshalb lohnt es sich, hier genauer hinzusehen.
Hormone – die unsichtbaren Steuermechanismen unseres Wohlbefindens
Das Hormonsystem ist ein fein abgestimmtes Netzwerk, in dem alles miteinander verbunden ist. Verschiebungen auf einer Ebene wirken sich zwangsläufig auf andere aus. Um es nicht unnötig kompliziert zu machen, betrachten wir hier nur drei zentrale Hormone – Östrogen, Progesteron und Cortisol. Sie stehen beispielhaft für das große Ganze und helfen dabei, ein erstes Gefühl für die Mechanismen zu bekommen, die im Hintergrund wirken. Dabei ist wichtig zu verstehen: Ein hormonelles Ungleichgewicht entsteht selten isoliert. Oft sind es übergeordnete Prozesse, die den gesamten Ablauf beeinflussen und es können sogar Krankheiten wie PCOS und Endometriose durch hormonelle Ungleichgewichte begünstigt oder negativ beeinflusst werden.
Östrogen – das Hormon der Weiblichkeit und Fruchtbarkeit
Östrogen steuert den Zyklus, beeinflusst Haut, Haare und das emotionale Gleichgewicht. Ungleichgewichte können sich äußern in:
Östrogendominanz: Gewichtszunahme, Wassereinlagerungen, Stimmungsschwankungen, Kopfschmerzen, starke oder unregelmäßige Menstruation, depressive Symptome, Brain Fog
Östrogenmangel: Schlafstörungen, Hitzewallungen, trockene Haut und Schleimhäute, Gelenkschmerzen, Erschöpfung, Lethargie, Konzentrationsprobleme und emotionale Dünnhäutigkeit.
Progesteron – das beruhigende Gegenstück
Progesteron gleicht Östrogen aus, fördert erholsamen Schlaf, entspannt die Muskulatur und stabilisiert die Stimmung.
Progesteronmangel: Zyklusstörungen, PMS, Reizbarkeit, Schlafprobleme und Kopfschmerzen.
Cortisol – unser Stress- und Überlebenshormon
Cortisol sichert in Stresssituationen Energie, reguliert Entzündungen und beeinflusst den Blutzucker.
Doch anhaltender Stress kann unser gesamtes System aus dem Gleichgewicht bringen:
Chronisch hoher Cortisolspiegel: Erschöpfung, Schlafstörungen, Lethargie, Salzhunger, erhöhte Stressanfälligkeit, Zyklusstörungen, Konzentrationsprobleme oder Gewichtszunahme.
Ein entscheidender Mechanismus, den viele nicht kennen, ist das sogenannte Progesteron-Steal-Phänomen:
Chronischer Stress erhöht den Cortisolbedarf des Körpers.
Pregnenolon, eine Vorstufe mehrerer Hormone, wird zur Produktion von Progesteron und Cortisol genutzt.
Da Cortisol zur Stressbewältigung priorisiert wird, bleibt weniger Progesteron übrig, was zu einem Mangel führt.
Dies stört das Gleichgewicht zwischen Progesteron und Östrogen – die Folge ist eine Östrogendominanz mit all ihren Symptomen.
Das bedeutet: Dauerstress kann auf lange Sicht das gesamte hormonelle Gleichgewicht kippen – mit erheblichen Folgen für Wohlbefinden, Konzentration und Leistungsfähigkeit.
Gesundheit, Balance und Erfolg – ein starkes Fundament für die Praxis
Stellen sie sich jetzt einmal eine Praxis vor, in der alles ineinandergreift. Die Rezeption arbeitet effizient, die Assistenz weiß genau, was als Nächstes geschieht, die Behandlungsräume sind vorbereitet – jeder Handgriff sitzt. Das Team harmoniert, Abläufe laufen reibungslos, und die Patienten spüren das. Diese unsichtbare Dynamik sichert den Erfolg einer Praxis.
Was ist anders, wenn all das nicht mehr richtig läuft? Könnte es sein, dass die Frauengesundheit maßgeblich für die wirtschaftliche Stabilität und Zukunftsfähigkeit einer Praxis verantwortlich ist?
Wenn das so wäre, dann ist es wichtig, dass in diesem Zusammenhang über neue Ansätze zur Fachkräftebindung nachgedacht wird.
Ein alternatives Szenario
Wie viel leistungsfähiger, gesünder und motivierter könnte ein Team sein, wenn hormonelle Dysbalancen erst gar nicht entstehen würden?
Was wäre, wenn wir durch bewusstes Verhalten, Änderung der Gewohnheiten und kleine Anpassungen in unserer Umgebung aktiv Einfluss auf unser hormonelles Gleichgewicht nehmen könnten? Wenn Prävention nicht kompliziert, sondern ein selbstverständlicher Teil unseres Alltags wäre?
Was wäre, wenn dieses Wissen nicht nur das Wohlbefinden steigern, sondern auch den Praxisalltag erleichtern würde? Wenn Gesundheit nicht als privates Problem oder als „Wellness-Faktor“ angesehen wird, sondern als entscheidender wirtschaftlicher Erfolgsfaktor verstanden wird?
Als ersten Schritt sind diese Fragen wichtig:
Was beeinflusst die Behandlerin bzw. den Behandler und das gesamte Team?
Wie geht es der Behandlerin bzw. dem Behandler – und wie geht es dem ganzen Team aktuell?
Gibt es Zeiten, in denen die Anspannungen spürbar ist?
Zeigen sich Stress-Symptome wie Erschöpfung oder Stimmungsschwankungen und häufen sich Krankheitstage?
Fazit
Wir haben nun einen ersten Blick auf die Welt der Hormone geworfen – unsichtbar, aber essenziell für Energie, Stressresistenz und Wohlbefinden. Wer versteht, wie dieses System arbeitet, kann gezielt Einfluss nehmen – für mehr Stabilität, Leistungsfähigkeit und Gesundheit.
In den nächsten Folgen schauen wir uns weitere Schlüsselfaktoren an – und wie sie nicht nur das persönliche Wohlbefinden, sondern auch die Dynamik und Leistungsfähigkeit in der Praxis beeinflussen können. Denn je besser wir verstehen, was uns antreibt, desto mehr Gestaltungsspielraum haben wir für ein gesundes, stabiles und erfolgreiches Arbeitsumfeld.
Frauenanteil in der Zahnarztpraxis
98 % der zahnmedizinischen Fachangestellten sind weiblich. Auch die Zahl der Zahnärztinnen wächst stetig, und der Anteil der Studentinnen in der Zahnmedizin lag 2024 bei 73 %.
Quelle:Statistisches Bundesamt; Statistisches Jahrbuch der BZÄK; BZB Online: Tendenz zunehmend weiblich.
Bettina Voss
Bettina Voss:
QMB für Zahnarztpraxen TÜV Rheinland zertifiziert,
ehemalige ZMA,
Beraterin betriebliches Gesundheitsmanagement und
Expertin für Ernährung und hormonelle Frauengesundheit.
E-Mail: bettina@vossprevent.de