Wirtschaftsnachrichten für Zahnärzte | DENTAL & WIRTSCHAFT
Zahnmedizin

Sie werden oft nicht oder erst viel zu spät erkannt. Die Behandlungsmöglichkeiten sind oft mäßig. Seltene Erkrankungen stellen Patienten und Ärzte vor erhebliche Probleme. Dabei gilt in der EU eine Krankheit als selten, wenn die Prävalenz bei weniger als 1:2000 liegt.

Die geringe Verbreitung einer bestimmten (seltenen) Krankheit bedeutet allerdings nicht, dass die Zahl der Betroffenen ebenfalls überschaubar ist. Allein in Deutschland leben Schätzungen zufolge etwa vier Millionen Menschen, die an einer seltenen Erkrankung leiden. Derzeit sind etwa 8.000 verschiedene seltene Erkrankungen bekannt. Diese Zahl nannte Jürgen Schäfer, Leiter des Zentrums für unerkannte und seltene Erkrankungen am Universitätsklinikum Marburg (ZusE) in einem Vortrag auf dem Deutschen Zahnärztetag im November 2021.

Ihre Identifizierung sei „Detektivarbeit“, so Schäfer. Etwa 30 Prozent der Patienten warteten mehr als fünf Jahre auf eine Diagnose, 40 Prozent haben eine initiale Fehldiagnose. 82 Prozent der Diagnosen erfolgen erst im Erwachsenenalter, obwohl vier Fünftel der seltenen Erkrankungen genetisch determiniert sind und sich bereits in der Kindheit zeigen.

Zahnärzte mit tragender Rolle bei Bekämpfung seltener Erkrankungen

Um Betroffenen besser zu helfen, sollten Patienten bei Verdacht auf eine seltene Erkrankung gezielt an spezialisierte Fachärzte und Universitätskliniken überwiesen werden. Dabei kommt Zahnärzten eine tragende Rolle zu: Etwa 15 Prozent aller seltenen Erkrankungen manifestieren sich im Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereich – häufig bereits im Kindesalter.

In Deutschland gibt es derzeit 34 Zentren für seltene Erkrankungen. Ein auf Erkrankungen mit oraler Beteiligung spezialisiertes Zentrum befindet sich an der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie des Universitätsklinikums Münster.

Seltene Erkrankungen: Das kindliche Gebiss gibt oft wichtige Anhaltspunkte

Entscheidend für die Diagnose seltener Krankheiten sind zum Beispiel Anomalien der Zähne bei Kindern. So weist etwa die Initiative „proDente“ darauf hin, dass es für Zahnmediziner leicht erkennbare Hinweise für die Diagnose gebe. Zu nennen seien etwa Veränderungen der Zahnform, der Zahnfarbe, des Zahnschmelzes, der Anzahl der Zähne sowie des Zahndurchbruchs. Zum Beispiel könnten bei einer Ektodermalen Dysplasie Zähne fehlen oder anders ausgebildet sein.

Vielfach wachsen Zähne bei diesem Krankheitsbild in spitzer Form. Zahnveränderungen und frühzeitiger Zahnverlust können auf eine Störung der Knochenmineralisation hindeuten, die sogenannte Hypophosphatasie. Hier ist ein bestimmtes Enzym im Körper weniger aktiv. Dadurch sind Zähne und Knochen nicht richtig mineralisiert und Zähne können im Milchgebiss früher ausfallen.

Weiterhin kann ein verzögerter Milchzahnverlust auf eine seltene Erkrankung wie das Hyper IgE Syndrom (sehr hohe IgE-Spiegel) hinweisen, das gemeinsam mit rezidivierenden Abszessen und Atemwegsinfektionen auftritt.

Bei zystischen Veränderungen im Kieferbereich sollten Zahnärztinnen und Zahnärzte stets auch an ein Gorlin-Goltz Syndrom denken, sagt ZusE-Leiter Jürgen Schäfer und ergänzt: „Keratozysten sind das erste Anzeichen des Syndroms, das sich durch eine Genanalyse nachweisen lässt.“