Die wichtigsten Tipps für die korrekte Abrechnung des Retainers
Dangela HenningEine erfolgreiche Aligner-Therapie erfordert eine stabile Retention. Der festsitzende Retainer ist hierfür das Instrument der Wahl. Doch die Abrechnung dieses essenziellen Behandlungsbestandteils ist nach den jüngsten Gerichtsurteilen zu einer komplexen Herausforderung geworden. Dieser Artikel beleuchtet die klinische Bedeutung des Retainers, die daraus resultierenden rechtlichen Probleme und zeigt auf, wie Sie die Abrechnung rechtssicher gestalten können.
Aus fachlicher Sicht ist der festsitzende Retainer ein passivierendes, linguadheriertes Stabilisierungsgerät, meist aus einem dünnen, geflochtenen Draht. Er wird individuell an die linguale Fläche der Frontzähne (typischerweise von Eckzahn zu Eckzahn) angepasst und mit Komposit adhäsiv befestigt. Seine primäre Funktion ist die langfristige Sicherung des Behandlungserfolgs.
Die zentralen klinischen Argumente für einen Retainer
Effektive Rezidivprophylaxe: Die Zähne zeigen nach der aktiven Therapiephase eine Tendenz, in ihre ursprüngliche Position zurückzuwandern. Der fest fixierte Retainer wirkt diesen rezidivierenden Kräften permanent entgegen.
Ausschluss des Compliance-Faktors: Im Gegensatz zu herausnehmbaren Retentionsgeräten, deren Wirksamkeit stark von der Tragedisziplin abhängt, sichert der festsitzende Retainer den Behandlungserfolg unabhängig vom Patientenverhalten.
Langfristige Stabilität: Physiologische Zahnbewegungen (Mesialdrift) finden lebenslang statt. Die kontinuierliche, passive Verankerung ist entscheidend, um das ästhetische und funktionelle Ergebnis dauerhaft zu bewahren.
Die rechtliche Grauzone und die Urteile des BVerwG
Das Kernproblem bei der Abrechnung des Retainers liegt in der Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ). Da die GOZ keine eigene Gebührennummer für die Eingliederung eines festsitzenden Retainers vorsieht, entstanden in der Vergangenheit juristische Auseinandersetzungen.
Diese mündeten in den wegweisenden Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) von 2021:
Das BVerwG stellte klar, dass die Retention ein integraler Bestandteil der gesamten kieferorthopädischen Hauptbehandlung ist. Folglich sind die Maßnahmen zur Retention – wie die Eingliederung des Retainers – bereits in den Gebühren der Hauptleistungen (GOZ-Nrn. 6030 bis 6080) abgegolten.
Die Konsequenz für die Praxis ist:
Eine separate Abrechnung über die GOZ-Nrn. 6100 (Klebebracket) oder 6140 (Teilbogen) ist damit unzulässig.
Die Retainer-Eingliederung gilt nicht als „selbstständige zahnärztliche Leistung“, was auch eine Abrechnung nach § 6 Abs. 1 GOZ (Analogabrechnung) erschwert.
Diese rechtliche Einschätzung ist der Hauptgrund für Erstattungsprobleme, da private Krankenversicherungen und Beihilfestellen sich bei Ablehnungen direkt auf diese Urteile berufen.
Die Abrechnung: Positionen und Vorschläge der Fachwelt
Nach den BVerwG-Urteilen haben sowohl der Bund deutscher Kieferorthopäden (BDK) als auch die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) ihre Abrechnungsempfehlungen angepasst.
Sie raten von riskanten Abrechnungsmethoden ab und schlagen stattdessen rechtssichere Wege vor, die in der Tabelle unten zusammen mit weiteren, risikoreicheren Vorschlägen aus der Fachwelt dargestellt werden.
Abrechnung des Retainers: Positionen und Vorschläge
Beteiligte Partei | Abrechnungsvorschlag | Einschätzung und Risiko |
Behandler(Zahnarzt / Kieferorthopäde) | Möchte den Retainer gesondert abrechnen, da er einen erheblichen Aufwand darstellt. | Sicherer Weg: Honorarvereinbarung nach § 2 GOZ oder Anhebung des Steigerungssatzes. |
Patient | Erwartet, dass Retainer im Gesamtpreis ent-halten ist und möchte eine Kostenerstattung | Ist oft verunsichert, wenn Rechnungen abgelehnt werden. |
Private Krankenversicherung (PKV) & Beihilfestellen | Lehnen eine separate Abrechnung des Retainers ab. | Berufen sich auf die BVerwG-Urteile von 2021. Sie argumentieren, dass die Retention als integraler Teil der Hauptbehandlung anzusehen ist. |
Bund deutscher Kieferorthopäden (BDK) | Rät von Abrechnung über GOZ 6100/6140 ab. | Empfiehlt als sichersten Weg die Honorarvereinbarungnach § 2 GOZ oder die Berücksichtigung des Mehraufwands bei den Steigerungssätzen. |
Bundeszahnärztekammer (BZÄK) | Kritisiert die BVerwG-Urteile juristisch, akzeptiert jedoch ihre rechtliche Bindung. | Empfiehlt aus Gründen der Rechtssicherheit dieselben Wege wie der BDK: Honorarvereinbarung nach § 2 GOZ oder die Erhöhung des Steigerungssatzes. |
Abrechnungsexperten | Versuchen kreative Wege zu finden, um die Leistung abzurechnen. | Hohes Risiko: Die Vorschläge basieren auf umstrittenen Analogien und widersprechen der aktuellen höchstrichterlichen Rechtsprechung. |
• Vorschlag 1: Abrechnung über GOÄ-Nummern | Es wird vorgeschlagen, GOÄ-Nummern wie Nr. 2697 analog heranzuziehen. | X Wird in der Regel abgelehnt. Die BVerwG-Urteile definieren die Retainer-Eingliederung als Bestandteil der GOZ, nicht der GOÄ. |
• Vorschlag 2: Differenzierte Abrechnung (Chairside/Labor) | Die Herstellung (Labor) und die Anbringung (Chairside) werden getrennt liquidiert. | X Sehr risikoreich. Die Laborleistung ist abrechenbar, aber die separate Abrechnung der Chairside-Tätigkeit widerspricht dem Zielleistungsprinzip. |
• Vorschlag 3: Detaillierte Steigerungsbegründung | Es wird eine extrem detaillierte Begründung für den Steigerungssatz der Hauptleistung vorgeschlagen. | ! Gängiger, aber risikoreich. Kann von Kostenträgern hinterfragt werden. Eine mangelhafte Begründung kann zur Kürzung führen. |
Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) | Hat mit seinen Urteilen von 2021 die Rechtsgrundlage geschaffen. | Befand, dass die Retention ein integraler Bestandteil der Hauptbehandlung ist und nicht gesondert über GOZ 6100/6140 abgerechnet werden darf. |
Fazit: Die Abrechnung des Retainers ist eine Herausforderung, die jedoch mit dem richtigen Vorgehen gemeistert werden kann. Transparenz, frühzeitige Aufklärung des Patienten und die Wahl einer rechtssicheren Abrechnungsmethode sind entscheidend, um den klinischen Erfolg zu sichern und gleichzeitig Honorarstreitigkeiten zu vermeiden. Die vom BDK und der BZÄK empfohlenen Wege, insbesondere die Honorarvereinbarung nach §2 GOZ, bieten die größte Sicherheit für die Praxis.