Wirtschaftsnachrichten für Zahnärzte | DENTAL & WIRTSCHAFT
Zahnmedizin

In der weltweit größten wissenschaftlichen Literaturdatenbank Pub-Med waren im November 2022 über 989 Publikationen gelistet, die sich mit der Thematik Tabakkonsum und dentale Implantate befassen. Seit 2013 sind zudem mindestens sechs systematische Übersichten erschienen, die eine Meta-Analyse von Studien beinhalteten. Diese gelten als bestmögliche externe wissenschaftliche Evidenz. Prof. Dr. Clemens Walter von der Abteilung für Parodontologie, Orale Medizin und Orale Chirurgie an der Charité-Universitätsmedizin in Berlin geht auf eine dieser Studien näher ein.

In Deutschland wird jährlich eine beträchtliche Anzahl dentaler Implantate inseriert und etwa acht Millionen Menschen sterben pro Jahr an den Folgen des Tabakkonsums. Rauchen wird als eine vermeidbare Erkrankung und Todesursache angesehen. Der Raucheranteil in der Bevölkerung betrug 2020 in Deutschland etwa ein Viertel in der Altersgruppe ab 15 Jahren. Männer sind mit 28 % und Frauen mit 19 % vertreten.

Die hier vorgestellte Übersicht [1] geht der klinisch relevanten Frage des quantitativen Einflusses des Tabakkonsums auf die Misserfolgsrate dentaler Implantate nach.

[1]  Naseri R, Yaghini J,Feizi A. Levels of smoking and dental implants failure: A systematic review and meta-analysis. J Clin Periodontol. 2020 Apr;47(4):518-528.

Methodik: genauer täglicher Tabakkonsum erfasst

Naseri und Mitarbeiter publizierten ihre systematische Übersichtsarbeit mit mehreren Meta-Analysen im Jahre 2019. Bei Anwendung stringenter Ein- und Ausschlusskriterien konnten die Autoren 23 Artikel, davon eine klinische Studie, 6 prospektive und 16 retrospektive Studien einschließen.

Die Arbeiten waren in den Jahren 2002 bis 2017 erschienen. Die Daten reflektieren 31.129 inserierte dentale Implantate. Die Besonderheit dieser Arbeit bestand darin, dass nur Studien Berücksichtigung fanden, die den genauen täglichen Tabakkonsum angaben. Zudem wurden vor dem Hintergrund des möglichen systemischen Effektes des Tabakkonsums patienten- und implantatzentrierte Auswertungen durchgeführt.

Ergebnisse: Zusammenhang zwischen Anzahl Zigaretten und Implantatmisserfolg

Die patientenzentrierten Untersuchungen zeigten: Wenn die Studienteilnehmer mehr als 10 (>10), mehr als 15 (>15), weniger als 20 (<20) und mehr als 20 (>20) Zigaretten pro Tag rauchten, signifikante Unterschiede zwischen den jeweiligen Gruppen im Vergleich zu Nichtrauchern auftraten.

Die Meta-Analyse dokumentiert dabei im Vergleich zu Nichtrauchern das signifikant höchste relative Risiko (RR 4; p < 0,001), wenn mehr als 20 Zigaretten pro Tag geraucht wurden. Das relative Risiko für einen Implantatmisserfolg steigt mit zunehmendem Tabakkonsum (>10 Zigaretten/Tag; RR 1,56, >15 Zigaretten/Tag; RR 2,73) kontinuierlich an.

Die implantatzentrierten Analysen weisen in dieselbe Richtung und lesen sich, jeweils verglichen mit Nichtrauchern, wie folgt:

  • >10 Zigaretten/Tag; RR 2,4
  • >15 Zigaretten/Tag; RR 2,82
  • >20 Zigaretten/Tag; RR 2,51

Die Analysen zeigten jeweils signifikante Unterschiede. Es konnte somit eine Dosis-Wirkung-Beziehung für das konsumabhängige Implantatmisserfolgsrisiko auf Basis einer robusten Meta-Analyse herausgearbeitet werden. Je mehr Zigaretten täglich konsumiert werden, desto höher ist das tabakassoziierte Misserfolgsrisiko.

Klinische Schlussfolgerungen zum Tabakkonsum

Im Gegensatz zur neuen Klassifikation parodontaler Erkrankungen aus dem Jahre 2018 wird der pathogenetische Stellenwert des Tabakkonsums noch nicht als gesonderter Risikofaktor für dentale Implantate implementiert. Im Rahmen des sogenannten „Gradings“ eines Parodontitisfalles im Rahmen der neuen Klassifikation kann der Tabakkonsum die zu definierende Kategorie folgendermaßen beeinflussen:

  • Grad A: Nichtraucher
  • Grad B: weniger als 10 Zigaretten/Tag
  • Grad C: mehr als 10 Zigaretten/Tag

In der klinischen Praxis hat sich daher die 3 x 10-Regel verbreitet. Liegen bei einem Patienten anamnestisch entweder mehr als 10 Jahre Tabakkonsum, mehr als 10 Zigaretten täglich oder ein Rauchstopp vor weniger als 10 Jahren vor, so wird dieser Patient als Risikopatient für tabakassoziierte orale Erkrankungen angesehen.

Die hier diskutierte Arbeit dokumentiert eine ähnliche Richtung und gibt belastbare Anhaltspunkte hinsichtlich der Dosis-Wirkung-Beziehung des Tabakkonsums auf dentale Implantate.

Das erhöhte Risiko für implantologische Misserfolge und die eingeschränkten klinischen Ergebnisse sollten dem Patienten erklärt und einer ausgewogenen und individualisierten Risiko-Nutzen-Analyse unterzogen werden. Voraussetzung ist zunächst eine detaillierte Erfassung des Tabakkonsums im Rahmen der zahnärztlichen Anamnese. Wenngleich ein Rauchstopp vor der zahnärztlichen Therapie das ultimative Ziel wäre, so ist doch zu berücksichtigen, dass Tabakabhängigkeit als chronische Erkrankung anzusehen ist und der Patient in vielen Fällen zahlreiche Versuche unternehmen muss, um sich von seiner Suchterkrankung zu befreien.

Dennoch sollte dem Patienten ein Rauchstopp empfohlen werden. Eine professionelle Tabakentwöhnung ist in der Zahnarztpraxis zumeist aufgrund der fehlenden Ausbildung nicht möglich. Hier bietet sich eine Überweisung in eine dafür spezialisierte Einrichtung an.

Auch interessant: Risiken nach OP: wichtiges Urteil zur Aufklärung von Rauchern
Wirksamkeit von Erythritol in der PA-Therapie
Antibiotika: Nebenwirkungen bei Amoxicillin-Metronidazol-Kombination?

(c) Clemens Walter

Unser Autor:
* Prof. Dr. Clemens Walter
erhielt seine Approbation im Jahr 2000. Von 2001 bis 2003 absolvierte er das Postgraduiertenprogramm in Parodontologie und Implantologie an der Charité Berlin. Die Promotion erfolgte 2005. Von 2010 bis 2021 war er Leiter des Weiterbildungsprogrammes Parodontologie an der Universität Basel, wo er 2012 habilitierte. 2016 wurde er Außerordentlicher Professor an der Universität Basel, 2021 übernahm er den Lehrstuhl für Zahnerhaltung, Parodontologie, Endodontologie, Präventive Zahnmedizin und Kinderzahnheilkunde, Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, Universitätsmedizin Greifswald. Seit 2023 ist er an der Abteilung für Parodontologie, Orale Medizin und Orale Chirurgie, Charité-Universitätsmedizin Berlin, tätig.