Wirtschaftsnachrichten für Zahnärzte | DENTAL & WIRTSCHAFT
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Expertentalk - Praxiswissen für Zahnärztinnen und Zahnärzte
Inhaltsverzeichnis

Status quo – wo wir stehen

Herr Prof. Schwendicke, wenn wir auf die Digitalisierung in der Zahnmedizin blicken: Wo stehen wir heute aus wissenschaftlicher „Vogelperspektive“?

Prof. Schwendicke: … zwischen Hype und Ernüchterung. Vor zwei Jahren war das Feld vom Hype geprägt; jetzt sind wir weiter. In Forschung und Industrie beschäftigen wir uns mit der Frage, wie digitale Technologien tatsächlich in die Praxen kommen: Welche Standards, Schnittstellen, Terminologien und Ontologien braucht es, um Workflows zu verknüpfen? Beeindruckend ist aktuell die enorm schnelle Entwicklung in der Sprachverarbeitung. Auch in der Bildverarbeitung, etwa bei Röntgenbildern oder Scans, hat sich viel getan: Es gibt kaum Zweifel, dass diese Tools funktionieren – ein klarer Unterschied zu den großen Fragezeichen vor wenigen Jahren.

Frau Dr. Lerner, Sie haben in Ihrer Praxis früh auf digitale Prozesse gesetzt. Welche Veränderung spüren Sie am deutlichsten?

Dr. Lerner: Grundsätzlich bleibt digitale Zahnmedizin nicht bei der Technik stehen. Natürlich braucht es leistungsfähige Scanner und Software, doch der entscheidende Schritt ist die Integration in den klinischen Alltag. So können Präzision und Vorhersagbarkeit verbessert werden. Zugleich gewinnt die Patientenkommunikation eine neue Qualität. Digitalisierung bedeutet für mich weniger ein Gerät als vielmehr ein Umdenken – hin zu mehr Transparenz, Planbarkeit und einer gemeinsamen Sprache.

Herr Dr. Baresel, wenn Sie auf mehr als ein Jahrzehnt Scanner-Erfahrung blicken: Wo liegt für Sie der entscheidende Fortschritt?

Dr. Baresel: Der größte Fortschritt liegt für mich in der Patientenkommunikation: Hochauflösende 3D-Modelle, wie sie der iTero Lumina™ Scanner liefert, machen Befunde verständlich. Diagnostik und Aufklärung mithilfe der AlignTM Oral Health Suite gehen Hand in Hand. Hinzu kommen KI-Tools zur Unterstützung wie Invisalign® Outcome-Simulationen.

Mindset – vom Wandel im Denken

Herr Dr. Baresel, einst galten Scanner als Ersatz für Abformungen. Heute sprechen wir vom völlig neuen Mindset. Ist die Technik bereit und fehlt es an der Haltung?

Dr. Baresel: Am Anfang stand klar das Werkzeug im Fokus. Die ersten Scanner waren limitiert, Support von den Herstellern kaum vorhanden, vieles war Learning by Doing. Heute ist die Technik ausgereift, die Hürde liegt fast ausschließlich im Kopf. Es braucht die Bereitschaft, sich auf diesen Weg einzulassen. Für mich ist unverständlich, warum wir in Deutschland derzeit eine noch so geringe Marktdurchdringung der Intraoralscanner haben; im Gegensatz zu vielen anderen Ländern. Klar ist: Wer digital arbeiten will, muss alte Pfade verlassen. Das ist anstrengend, aber die Vorteile überwiegen deutlich.

Herr Prof. Schwendicke, was heißt das aus wissenschaftlicher Sicht – welche Rolle spielen hier auch Faktoren wie Validierung und Ausbildung?

Prof. Schwendicke: Wir müssen digitale Tools kritisch begleiten und validieren. Technik darf nicht nur verfügbar sein, sie muss ihre Zuverlässigkeit in unabhängigen Studien beweisen, also nicht nur in der Theorie, sondern im Realbetrieb. Viele Systeme sind zertifiziert, wurden aber nie auf Generalisierbarkeit und Praxistauglichkeit getestet. Das ist zu wenig. Wir brauchen randomisiert-kontrollierte Studien, idealerweise unabhängig. Parallel fehlt es an Ausbildung: Gerade KI-Technologien sind neu, niemand hat sie systematisch im Studium oder in der Weiterbildung gelernt – auch viele Lehrende nicht. Wir brauchen dringend Data und Digital Literacy, um Chancen und Risiken einschätzen zu können und Fehler wie den Automatisierungs-Bias zu vermeiden. Der EU AI Act schreibt vor, dass nur geschultes Personal diese Systeme nutzen darf. In der Realität fehlen aber die Ausbilder. Zwar haben wir mit der WHO ein KI-Core-Curriculum entwickelt, doch es mangelt an Fachleuten, die es vermitteln können. Selbst wenn wir heute starten, dauert es lange, bis das Wissen ankommt. Und bis dahin entwickelt sich die Technik schon wieder weiter.

Implementierung – vom Plan zur Realität

Frau Dr. Lerner, der Entschluss zur Digitalisierung ist gefasst. Was macht die Umsetzung in der Praxis so anspruchsvoll?

Dr. Lerner: Prof. Schwendicke hat die Evidenz betont und genau da liegt die größte Herausforderung. Es geht nicht um einzelne Technologien, sondern um die Integration des Workflows in den Praxisalltag – von der Diagnostik bis zur Versorgung. Dafür brauchen wir Studien, die nicht nur die Genauigkeit einzelner Verfahren, sondern den kompletten Ablauf belegen. Dann wird Digitalisierung zum verlässlichen klinischen Standard.

Woran entscheidet sich, ob der digitale Wandel im Team gelingt – technisch oder kulturell?

Dr. Lerner: Technik kann man kaufen, kulturellen Wandel muss man gestalten. Entscheidend ist die Akzeptanz im Team und die entsteht u. a. durch kontinuierliche Weiterbildung. Verstehen Mitarbeitende den Nutzen für sich und Patienten, wird aus Skepsis Motivation. Das entscheidet, ob Digitalisierung als Belastung oder als Chance erlebt wird.

Herr Dr. Baresel, worin unterschieden sich Ihre Anfänge mit dem Intraoralscanner von der Situation für Praxen heute?

Dr. Baresel: Die Situation damals ist mit heute kaum vergleichbar. Wir waren Exoten, es gab keinen Erfahrungsaustausch und keine klaren Workflows. Vieles mussten wir uns selbst erarbeiten. Heute gehört Scannen zum Alltag und die Industrie unterstützt die Integration deutlich stärker. Dennoch bleiben viele Fragen offen. Genau da setzen wir mit der DGDOA (Deutsche Gesellschaft für digitale orale Abformung) an: Wir helfen Kolleginnen und Kollegen, Scanner nicht nur technisch zu beherrschen, sondern sinnvoll in die Abläufe einzubetten. Außerdem bieten moderne Systeme wie der iTero Lumina™ Scanner eine hohe Anwenderfreundlichkeit und eröffnen durch multimodale Funktionen neue Möglichkeiten.

Wie wichtig ist das Team, damit Digitalisierung im Alltag funktioniert?

Dr. Baresel: Ohne mein Team wäre Digitalisierung nicht denkbar. Bestimmte Scans mache ich selbst, vieles übernimmt das Team – von Diagnostik bis Prophylaxe. Oft ist der Scan fertig und die Align™ Oral Health Suite ist geöffnet, wenn ich ins Zimmer komme. Manchmal hat das Team auch schon erste Punkte mit dem Patienten besprochen. Gerade in der Prophylaxe ist das wertvoll, weil Patienten ihre Mundhygiene-Entwicklung direkt sehen können.

Frau Kasper, wie haben Sie die Umstellung auf den Intraoralscanner erlebt und welchen Nutzen sehen Sie heute darin?

Frau Kasper: Für mich war es wie beim Erlernen der klassischen Abformung: Anfangs hatte ich Respekt, dann wurde es Routine. Mit etwas Mut und Übung war ich schnell eingearbeitet. Wichtig ist mir, die Patienten einzubeziehen. Sie erleben auf digitalem Weg keinen unangenehmen Abdruck, sondern sehen ihre intraorale Situation auf dem Bildschirm.

Herr Horns, Intraoralscanner verändern auch die Rolle der Zahntechnik. Sehen Sie sich dadurch stärker als technischer Dienstleister oder als Partner in der Co-Diagnostik?

Herr Horns: Die Rolle als technischer Dienstleister gehört schon lange zu unserem Beruf. Heute unterstützen wir Praxen verstärkt bei der Digitalisierung und der Planung – etwa in der navigierten Implantologie, bei der digitalen Kiefergelenkvermessung (Zebris) oder in der visualisierten Planung von Zahnersatz (exocad® ART). Damit sind wir deutlich stärker in diagnostische Prozesse eingebunden. Dazu gehört auch, Patienteninformationen zu lesen, DVT- und Röntgendaten zu interpretieren und die Arbeiten durch eine Fotodokumentation abzusichern.

Herr Prof. Schwendicke, Schnittstellen funktionieren nur mit sauberen Daten. Welche Rolle spielt die Datenqualität im Hinblick auf KI-Anwendungen?

Prof. Schwendicke: Ohne qualitativ hochwertige und repräsentative Daten werden KI-Systeme nicht zuverlässig funktionieren. Reine Hersteller-Datensätze oder Material aus einer einzelnen Praxis reichen nicht. Denn ein Tool wird nur so gut sein wie sein Datensatz. Mit der ISO 18374 haben wir erstmals einen Standard geschaffen, nach welchen Kriterien Daten zu bewerten sind. Entscheidend ist u. a., dass sie diagnostisch verwertbar sind und die Realität des Praxisalltags widerspiegeln. Und der klinische Alltag ist selten perfekt – Trainingsdaten müssen genau das abbilden. Dann bleiben Modelle stabil, auch wenn die Bildqualität nicht optimal ist.

Patientendialog – Kommunikation im Wandel

Herr Dr. Baresel, früher Handspiegel, heute fotorealistische 3D-Modelle aus dem iTero™Scanner: Wie verändert das Ihre Kommunikation mit Patienten?

Dr. Baresel: Das Überlagern von Scans, Kariesdiagnostik oder Outcome-Simulationen machen den größten Unterschied. Patienten verstehen ihre Situation viel besser, wenn sie diese sehen, statt nur erklärt bekommen. Eine Studie von Prof. Maximiliane Schlenz und Team bestätigt, dass visuelle Darstellungen das Verständnis steigern und die Bereitschaft zur Behandlung erhöhen. Für uns Zahnärzte sind diese Tools ebenso wertvoll, weil wir Entwicklungen dokumentieren und Befunde klar nachvollziehen können. Die Align™ Oral Health Suite bündelt Daten in einer Weise, die neue Formen der Transparenz und Vertrauensbildung ermöglicht.

Frau Kasper, wie nutzen Sie das 3D-Modell im Gespräch mit Patienten?

Frau Kasper: Für mich ein absoluter Mehrwert. Wir können dem Patienten bildlich darstellen, worauf er mehr achten sollte und wo wir individuell ansetzen können. Am Modell erkläre ich zum Beispiel, ob eine parodontale Rezession vorliegt, ob Zahn-engstände bestehen oder ob die im iTero Scanner integrierte Nahinfrarot-Technologie beginnende Karies sichtbar macht. Patienten verstehen so viel klarer, dass es um Transparenz geht und darum, ihre Situation nachvollziehbar zu machen. So wird aus dem Zahnarztbesuch ein digitales Erlebnis, das sie aktiv einbindet.

Herr Horns, digitale Workflows liefern dem Labor deutlich mehr Daten als früher. Wie verändert diese Fülle an Informationen die zahntechnische Fertigung?

Herr Horns: Die Daten aus dem iTero Lumina™ Scanner kommen gebündelt in der exocad™-Software an. Das erleichtert die Arbeit erheblich. Wir müssen Informationen nicht aus verschiedenen Kanälen zusammensuchen. Die schnelle Verfügbarkeit bedeutet außerdem, dass wir den Arbeitsprozess unmittelbar starten können – ein zeitlicher Vorteil für alle. Hinzu kommt: Mit der Datenfülle wächst unser Verständnis für die individuelle Situation des Patienten, was zu präziseren Planungen und damit zu besseren prothetischen Ergebnissen beitragen kann.

Augmented Intelligence – KI als Co-Pilot

Herr Prof. Schwendicke, Augmented Intelligence versteht KI als Co-Piloten. Welche Leitplanken braucht es, damit daraus kein Autopilot wird?

Prof. Schwendicke: Der Begriff Augmented Intelligence ist bewusst gewählt und auch in unseren Normungsprozessen verankert. Es geht nicht um eine autonome Intelligenz, sondern um Systeme, die uns unterstützen und besser machen. Wir bleiben auf dem Fahrersitz; Verantwortung und Kontrolle liegen bei uns. Dafür braucht es regulatorische Leitplanken wie den EU AI Act oder die MDR, die klarstellen: KI-Systeme sollen uns unterstützen, nicht ersetzen.

Frau Dr. Lerner, wo erleben Sie KI heute als verlässlichen Co-Piloten und wo noch nicht?

Dr. Lerner: KI ist heute in einigen Bereichen bereits verlässlicher Co-Pilot und unterstützt in der radiologischen Diagnostik, der Befundung, Bildanalyse, Planung und zunehmend auch in der Produktion. In diesen Bereichen ist sie nahezu selbstverständlich. Bei der Patientenkommunikation oder einer vollständig automatisierten Therapieplanung sind wir noch nicht am Ziel – bewegen uns aber mit großen Schritten dorthin.

Herr Dr. Baresel, wie erleben Sie das und wo ist KI noch mehr Marketing als Realität?

Dr. Baresel: Outcome-Simulationen wirken zunächst wie Marketing; sie zeigen Patienten ihr mögliches Lächeln. Aber genau das macht den Unterschied: Aus einer abstrakten Erklärung wird ein greifbares Ziel. In der Diagnostik ist KI ein echter Co-Pilot, etwa mit Align X-ray Insights: Röntgenbilder werden analysiert und Auffälligkeiten markiert – eine wertvolle Unterstützung, die schneller auf Probleme aufmerksam macht. Aber wie Prof. Schwendicke auch aus Perspektive der Forschung betont: KI ist Hinweisgeber, nicht Entscheider.

Ausblick – wohin geht’s?

Frau Dr. Lerner, die digitale Transformation zeigt sich nicht nur in neuen Assistenzsystemen, sondern auch in der Frage: Lohnt sich die Investition – klinisch, organisatorisch und wirtschaftlich?

Dr. Lerner: Investitionen in digitale Technologien sind für mich keine reine Kostenfrage, sondern eine Wertschöpfung. Sie können die Behandlungsqualität steigern, die Patientenbindung stärken und Abläufe effizienter machen. Zudem erhöhen sie die Attraktivität der Praxis als Arbeitgeber. Wer nur auf den Anschaffungspreis schaut, übersieht den Return on Investment. Digitalisierung bedeutet, die Praxis zukunftsfähig aufzustellen – klinisch, organisatorisch und im Wettbewerb um Mitarbeitende. Diese Investitionen sind deshalb nicht nur eine technische, sondern eine strategische Entscheidung für Qualität und Perspektive.

Herr Horns, worauf sollten Praxen achten, wenn sie in digitale Systeme wie Intraoralscanner investieren und die Zusammenarbeit mit dem Labor von Beginn an optimal gestalten möchten?

Herrn Horns: Mein wichtigster Tipp: Suchen Sie früh das Gespräch mit dem Labor. Klären Sie, mit welchen Softwarelösungen dort gearbeitet wird, welche Scanner-Erfahrungen bereits vorhanden sind und wo Vor- oder Nachteile liegen. Ebenso wichtig ist eine realistische Planung: Am besten startet man mit kleineren Arbeiten und steigert sich Schritt für Schritt – das vermeidet Frustration. Sinnvoll ist es auch, im Praxisalltag verschiedene Scanner auszuprobieren, um Handling und Workflow kennenzulernen. Und, wie Dr. Baresel schon betonte: Binden Sie das Team von Anfang an ein. Es sind meist die Fachangestellten, die mit dem Scanner arbeiten – ihre Akzeptanz entscheidet über den Erfolg.

Das Interview wurde geführt von Annett Kieschnick, Freie Fachjournalistin

Abschlussbemerkung der Experten: Wo sehen Sie die digitale Zahnmedizin in fünf Jahren?

Prof. Schwendicke: Generative Tools verändern ganze Branchen, so auch die Zahnmedizin. Praxis- und Patientenkommunikation werden sich wandeln, Tätigkeiten im Backoffice verlagern sich, Assistenzsysteme werden selbstverständlich. Die Zahntechnik geht weiter in Richtung Automatisierung, Qualitätssicherung und Kommunikation. Der Zahntechniker wird die Rolle eines digitalen Managers übernehmen.

Dr. Lerner: Digitalisierung wird Standard sein; vernetzt, KI-gestützt und patientenzentriert.

Herr Horns: Intraoralscanner werden in nahezu allen Praxen verfügbar sein und durch KI-gestützte Anwendungen ergänzt – in der Praxis wie im Labor. Digitale Zusammenarbeit wird zum Alltag und macht die Behandlung für Patienten transparenter. So lässt sich auch ein Teil des Arbeitskräftemangels kompensieren.

Frau Kasper: Ich hoffe, dass die Digitalisierung den Alltag in der Praxis erleichtert und nicht durch Abrechnungs- oder Verwaltungshürden gebremst wird.

Dr. Baresel: Dann sind Intraoralscanner Standard. Diagnostik, Dokumentation und Kommunikation laufen zusammen. KI wird so selbstverständlich sein wie heute das Röntgen – ein integraler Bestandteil unserer klinischen Arbeit.

Die Experten

Dr. Ingo Baresel

Dr. Ingo Baresel

Dr. Ingo Baresel ist Zahnarzt in eigener Praxis und Präsident der DGDOA. Foto: Baresel
Thomas Horns

Thomas Horns

Thomas Horns ist Zahntechnikermeister und Spezialist für digitale Workflows. Foto: Viktor Wedel
Dr. Henriette Lerner

Dr. Henriette Lerner

Dr. Henriette Lerner ist Zahnärztin und Oralchirurgin, HL Dentclinic & Academy, Baden-Baden. Foto: Lerner
Prof. Dr. Falk Schwendicke

Prof. Dr. Falk Schwendicke

Prof. Dr. Falk Schwendicke ist Direktor der Poliklinik für Zahnerhaltung, Parodontologie und digitale Zahnmedizin an der LMU München. Foto: Schwendicke