Zahnärzte als Grenzgänger: So vermeiden Sie eine Doppelbesteuerung
Dr. jur. Alex JanzenIn einem Land arbeiten, im Nachbarland wohnen: das kann für Menschen in grenznahen Gebieten auch aus finanziellen Gründen durchaus attraktiv sein. Auf was Selbstständige in steuerlicher Hinsicht achten müssen, die zwar in Deutschland arbeiten, aber ihren Wohnsitz in einem Nachbarland haben, erläutert Rechtsanwalt Dr. Alex Janzen.
Bei der Berufsausübung von Zahnärztinnen und Zahnärzten in einem Staat und dem Wohnsitz in einem anderen Staat ergeben sich spezielle Fragen in Bezug auf die Besteuerung solcher Grenzgänger in beiden Staaten. In den deutschen Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) – das sind völkerrechtliche Verträge zwischen Deutschland und einem anderen Staat über die Vermeidung von Doppelbesteuerung und in neueren Abkommen auch explizit zur Vermeidung von sog. „weißen“ (in keinem Staat versteuerten) Einkünften - wird der Begriff „Grenzgänger“ gewöhnlich für Steuerpflichtige mit Einkünften aus unselbstständiger Arbeit verstanden. In diesem Beitrag verwenden wir den Begriff „Grenzgänger“ in seiner üblichen bzw. geläufigen Bedeutung ohne die Beschränkung auf eine bestimmte Einkunftsart, d. h. er erfasst auch selbstständig Tätige, wie niedergelassene Zahnärztinnen und Zahnärzte.
Beschränkte Einkommensteuerpflicht und DBA
Die Problematiken der Grenzgängerbesteuerung lassen sich am besten am folgenden Beispiel illustrieren. Nehmen wir an, ein Zahnarzt betreibt in Deutschland zusammen mit drei weiteren Kollegen eine zahnärztliche Gemeinschaftspraxis als eine Berufsausübungsgemeinschaft in der Form einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts (GbR). Seinen einzigen Wohnsitz, an dem auch seine Familie wohnt, soll der Zahnarzt in der Schweiz haben. Von diesem Wohnsitz aus pendelt der Zahnarzt jeden Tag in die Gemeinschaftspraxis, wo er zusammen mit seinen Kollegen Patienten behandelt. Jeden Abend fährt der Zahnarzt nach dem Abschluss der Behandlungen nach Hause in die Schweiz. Der Zahnarzt in unserem Beispiel soll nur deutsche und keine andere bzw. keine weitere Staatsangehörigkeit, auch nicht die der Schweiz, haben.
Nach deutschem und schweizerischem Steuerrecht ist der Zahnarzt aus unserem Beispiel in der Schweiz unbeschränkt einkommensteuerpflichtig und erzielt in Deutschland Einkünfte aus selbstständiger Arbeit, die hier der beschränkten Einkommensteuerpflicht unterliegen. Beschränkte Einkommensteuerpflicht bedeutet, dass nur die konkreten inländischen Einkünfte besteuert werden, ohne weitere Einkünfte des betreffenden Steuerpflichtigen aus anderen Staaten in die Besteuerung mit einzubeziehen.
Sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz führt die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht dazu, dass weltweite Einkünfte eines Steuerpflichtigen in dem Staat besteuert werden, in welchem ein Steuerpflichtiger unbeschränkt einkommensteuerpflichtig ist. Dieses als das Welteinkommensprinzip genannte Grundsatz würde ohne die Regelungen in Doppelbesteuerungsabkommen dazu führen, dass Einkünfte des Zahnarztes aus unserem Beispiel aus der Gemeinschaftspraxis in der Schweiz aufgrund des Welteinkommensprinzips und in Deutschland an der Quelle nach der beschränkten Einkommensteuerpflicht besteuert würden.
Freistellung von Einkünften nach DBA
Um dies zu vermeiden, stellt die Schweiz, wie auch viele andere Staaten, im DBA Deutschland-Schweiz die meisten Einkünfte aus Deutschland von der eigenen Besteuerung frei, während Deutschland die betreffenden Einkünfte nach seinem inländischen Steuerrecht im Rahmen der beschränkten Einkommensteuerpflicht besteuert. In unserem Beispiel würde die Schweiz deshalb nach Art. 24 Abs. 2 Nr. 1 DBA Deutschland-Schweiz die selbstständigen Einkünfte des Zahnarztes aus der Betriebsausübungsgemeinschaft von der eigenen Besteuerung freistellen. Deutschland würde die betreffenden Einkünfte nach § 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG in Verbindung mit Art. 14 Abs. 1 Satz 2 DBA Deutschland-Schweiz nach dem deutschen Einkommensteuerrecht im Rahmen der beschränkten Einkommensteuerpflicht besteuern.
Qualifikationskonflikte zwischen DBA-Staaten möglich
Es darf allerdings nicht automatisch und in jedem Fall davon ausgegangen werden, dass Vertragsstaaten eines DBA dessen Bestimmungen in gleicher Weise und in gleichem Verfahren anwenden. Würden zum Beispiel in unserem Beispielsfall Einkünfte des Zahnarztes von der schweizerischen kantonalen Finanzverwaltung irrtümlich als Einkünfte aus unselbstständiger Arbeit im Rahmen der sogenannten Grenzgängerbesteuerung nach Art. 15a DBA Deutschland-Schweiz qualifiziert, während die deutsche Finanzverwaltung die betreffenden Einkünfte zutreffend als Einkünfte aus selbständiger Arbeit nach Art. 14 DBA Deutschland-Schweiz einordnen würde, wären die Einkünfte des Zahnarztes aus unserem Beispiel in Deutschland nach deutschem Steuerrecht besteuert, während die Schweiz diese Einkünfte nicht von der Besteuerung freistellen würde, sondern diese nach Art. 15a Abs. 3 lit. b DBA Deutschland-Schweiz bei der Ermittlung der schweizerischen steuerlichen Bemessungsgrundlage lediglich um 20 % herabsetzen würde. Die Folge wäre eine Doppelbesteuerung der betreffenden Einkünfte des Zahnarztes in unserem Beispiel sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz. Es sollte deshalb darauf geachtet werden, dass Einkünfte von der Steuerverwaltung der beteiligten Länder von Anfang an richtig qualifiziert werden.
Besteuerung von beschränkt Einkommensteuerpflichtigen
Würde der Zahnarzt in unserem Beispiel lediglich Einkünfte aus der Berufsausübungsgemeinschaft in Deutschland und keine weiteren Einkünfte erzielen, hätte er aufgrund der beschränkten Einkommensteuerpflicht in Deutschland von vielen personen- und familienbezogenen Vergünstigungen des deutschen Steuerrechts nicht profitiert. Hierzu ordnet § 50 Abs. 1 Satz 4 EStG an, dass z. B. der Grundfreibetrag, die Kinderfreibeträge, die Sonderausgaben, die außergewöhnlichen Belastungen und einige weitere Abzugsmöglichkeiten des deutschen Einkommensteuerrechts an beschränkt Steuerpflichtige nicht gewährt werden dürfen. Damit müsste der Zahnarzt in unserem Beispiel seine gesamten Einkünfte aus der unselbstständigen Arbeit in Deutschland praktisch vom ersten Euro an versteuern. Er durfte auch nicht seine finanziellen Belastungen aus der Kindererziehung, aus Versicherungszahlungen, seine Krankheitskosten etc. in Deutschland geltend machen. Aber auch in der Schweiz wäre die Geltendmachung der betreffenden Aufwendungen nicht möglich, da der Zahnarzt in unserem Beispiel in der Schweiz keine Einkünfte erzielt. Die Folge wäre, dass die persönlichen finanziellen Belastungen des Zahnarztes in unserem Beispiel in keinem Staat hätten geltend gemacht werden können.
Option zur unbeschränkten Steuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG
Es leuchtet unmittelbar ein, dass ein solches Ergebnis nicht aufrechterhalten werden kann. Deshalb eröffnet Deutschland für beschränkt Steuerpflichtige die Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen nach § 1 Abs. 3 EStG zu unbeschränkten Einkommensteuerpflicht in Deutschland zu optieren. Für eine solche Option muss eine in Deutschland beschränkt steuerpflichtige natürliche Person hier inländische Einkünfte im Sinne des § 49 EStG haben. Die weltweiten Einkünfte des Optierenden müssen darüber hinaus in einem Kalenderjahr mindestens zu 90 % der deutschen Einkommensteuer unterliegen, oder die nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegen Einkünfte dürfen den Grundfreibetrag des deutschen Einkommensteuerrechts (§ 32a EStG, im Veranlagungszeitraum 2024 beträgt dieser 11.784 Euro für Alleinstehende und 23.568 Euro für Ehegatten) nicht übersteigen.
Als eine wichtige Ausnahme zählen nicht zu inländischen Einkünften im Sinne des § 1 Abs. 3 EStG Einkünfte aus Deutschland, die nach einen DBA nur mit einem Quellenhöchststeuersatz besteuert werden dürfen. Das sind typischerweise Dividenden und in Einzelfällen Zinsen und Lizenzgebühren. Schließlich setzt die Option zu unbeschränkten Steuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG die Vorlage der Bescheinigung der ausländischen Steuerbehörde bei der deutschen Finanzverwaltung voraus. Wichtig ist, dass die Option nach § 1 Abs. 3 EStG für jedes Kalenderjahr aufs Neue ausgeübt werden kann. Der Zahnarzt aus unserem Beispiel würde die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 EStG erfüllen, da er lediglich Einkünfte aus selbstständiger Arbeit in Deutschland erzielt und weltweit keine weiteren Einkünfte hat. Durch die Option werden die persönlichen Abzüge und Steuervergünstigungen, die bei der beschränkten Steuerpflicht normalerweise ausgeschlossen sind - wie der Steuerfreibetrag, Sonderausgabenabzug, der Abzug von außergewöhnlichen Belastungen wie Krankheitskosten etc. - an den Optierenden gewährt.
Personen- und familienbezogene Vergünstigungen nach § 1a EStG
Die Option nach § 1 Abs. 3 EStG als solche führt allerdings noch nicht dazu, dass der Optierende bestimmte personen- und familienbezogene Vergünstigungen, wie Zusammenveranlagung mit seinem Ehegatten inklusive des Splittingverfahrens, Unterhaltszahlungen, bestimmte Versorgungsleistungen etc., in Anspruch nehmen darf, wenn der Ehegatte des Steuerpflichtigen in Deutschland nicht unbeschränkt steuerpflichtig ist. Das wird typischerweise der Fall sein, wenn der Ehegatte im Ausland ansässig ist. In unserem Beispiel hätte der Zahnarzt durch die Option nach § 1 Abs. 3 EStG die Personen- und familienbezogene Vergünstigungen des deutschen Steuerrechts nicht nutzen können, da seine Familie ebenfalls in der Schweiz wohnt. Um in solchen Situationen Abhilfe zu schaffen, gewährt § 1a EStG unbeschränkt Steuerpflichtigen, auch für Optierende nach § 1 Abs. 3 EStG, die Möglichkeit, personen- und familienbezogene Vergünstigungen des deutschen Steuerrechts unter bestimmten Voraussetzungen in Anspruch nehmen zu können. Hierfür muss der betreffende Steuerpflichtige ein EU- oder EWR-Staatsangehöriger und in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sein, dessen Ehegatte kann die Staatsangehörigkeit eines beliebigen Staates besitzen, muss jedoch seinen Wohnsitz oder den gewöhnlichen Aufenthalt in einem EU- oder EWR-Staat oder in der Schweiz haben.
Liegen diese Voraussetzungen vor, wird der im Ausland lebende Ehegatte auf Antrag als in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt. Sofern der Steuerpflichtige und sein Ehegatte im Sinne des deutschen Steuerrechts nicht getrennt leben, können beide für die Einkommensteuererklärung die Zusammenveranlagung inklusive des Splittingverfahrens beanspruchen. Ferner können andere personen- und familienbezogene Vergünstigungen des deutschen Steuerrechts, wie Unterhaltszahlungen an den geschiedenen Ehegatten bis zu einem bestimmten Höchstbetrag (im Veranlagungszeitraum 2024 13.805 Euro im Kalenderjahr), bestimmte Versorgungsleistungen, besondere Ausgleichsleistungen im Rahmen des schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs etc. ebenfalls in Anspruch genommen werden.
Option nach § 1 Abs. 3 EStG und Antrag nach § 1a EStG gut überlegen
Nicht in allen Fällen ist die Option zur unbeschränkten Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG und bzw. oder der Antrag nach § 1a EStG sinnvoll. Würde der Zahnarzt in unserem Beispiel nicht nur Einkünfte in Deutschland, sondern auch in der Schweiz erzielen, sollte er gut überlegen, ob er zur unbeschränkten Steuerpflicht in Deutschland optiert. Tut er das, könnte er die personen- und familienbezogenen Vergünstigungen, vorbehaltlich Sonderregelungen im Steuerrecht der Schweiz, nicht doppelt, d. h. auch nicht in der Schweiz, steuerlich geltend machen. Er müsste deshalb jedes Jahr genau prüfen, in welchem Land für ihn die Behandlung als unbeschränkt Steuerpflichtiger steuerlich vom Vorteil wäre.