PA-Kontrolle durch eine auf künstlicher Intelligenz basierende Zahnbürste
Prof. Dr. med. dent. Clemens WalterBietet die Nutzung einer mit künstlicher Intelligenz unterstützten elektrischen Zahnbürste Vorteile gegenüber der Nutzung der traditionellen Handzahnbürste? Über die Ergebnisse einer chinesischen Studie berichtet Prof. Dr. Clemens Walter.
Wissen Sie, was ein W48 ist oder haben Sie sich schon einmal gefragt, warum ein Kleinkind versucht, ein ausgedrucktes Foto mit Zeigefinger und Daumen zu vergrößern? Dann gehören Sie wahrscheinlich zur Gruppe der „digital immigrants“, das sind Personen, die nicht im digitalen Zeitalter aufgewachsen sind und digitale Technologien erst später erlernen mussten. Für die später Geborenen: Bei einem W48 handelt es sich um den in aller Regel schwarzen Tischfernsprecher aus Bakelit mit einer Wählscheibe, der in den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts das erste Telefon war, das in Massenproduktion ging. Der Hörer war separat abhebbar und über ein baumwollummanteltes Kabel mit dem Telefon verbunden.
Gegenüber den „digital immigrants“ sind „digital natives“ abzugrenzen. Letztere Generation ist in einer überwiegend digitalisierten Welt aufgewachsen. An der Evolution vom Telefon zum heutigen multifunktionalen Smartphone werden die gravierenden Veränderungen durch die Digitalisierung nahezu aller Lebensbereiche deutlich. Diese Entwicklung hat nun auch den Bereich der täglichen Mundhygiene im Rahmen einer Parodontitistherapie erreicht. Eine aktuelle chinesische Studie gibt hier interessante Hinweise und zeigt Potentiale auf.
Methodik
Im Rahmen einer randomisierten klinischen Studie wurden 100 Parodontitispatienten (Stadium II & III) behandelt. In der Kontrollgruppe wurde die derzeit übliche parodontale Behandlung der Stufen 1 und 2, bestehend aus supra- und subgingivaler Instrumentierung und Mundhygieneinstruktion zur Verwendung von Handzahnbürste und Interdentalraumbürstchen vorgenommen und nach 1 bzw. 3 Wochen wiederholt. Die Testgruppe wurde ebenso behandelt, bekam aber eine neuartige, auf künstlicher Intelligenz basierende multimodale elektrische Zahnbürste, die in Echtzeit den Zahnputzvorgang erfasst (Putzdruck, Putzzeit/Region, Position im Mund) und über Bluetooth auf das Smartphone des Patienten zur weiteren Analyse via App überträgt. Regionen, die nicht adäquat geputzt wurden, werden graphisch dargestellt.
Vom Smartphone erfolgt zudem eine anonymisierte Übertragung der o. g. Parameter, sowie der Tageszeit, der Putzdauer und der Frage nach der Verwendung von Interdentalraumbürstchen via Cloud auf einen ärztlichen Computer, um eine zusätzliche Fernüberwachung und -führung des Patienten über SMS zu ermöglichen. Der primäre Endpunkt war die Anzahl entzündeter parodontaler Taschen (Sondierungstiefen ≥ 4 mm mit Bluten auf Sondieren) 6 Monate nach den Interventionen.
Ergebnisse der klinischen Studie mit Parodontitispatienten
Fünf Patienten, davon zwei in der Test- und drei in der Kontrollgruppe, standen nicht für die finale Analyse zur Verfügung. Mit Hilfe der digitalen Führung lernte die Testgruppe relativ schnell, optimal und alle Regionen ausreichend lange zu putzen. Die durchschnittliche Anzahl der Feedback-SMS nahm über den Studienzeitraum daher kontinuierlich ab.
Die Anzahl entzündeter Taschen verringerte sich in der Kontrollgruppe von 80,7 % auf 52,3 % und in der Testgruppe von 81,4 % auf 44,4 %. Der Unterschied zwischen beiden Gruppen hinsichtlich des primären Endpunktes war statistisch signifikant und betrug 7,9 %. Diese Verbesserungen und die Unterschiede zwischen den Gruppen korrespondieren mit den beobachteten Veränderungen hinsichtlich der Detektion supragingivaler Beläge und des parodontalen Entzündungszustandes sowie mit der mundbezogenen Lebensqualität.
Klinische Schlussfolgerungen
Ein Nachweis des klinischen Nutzens digitaler Anwendungen im Bereich Medizin (eHealth/mHealth) ist oft schwer zu führen und daher oft auch (noch) nicht vorhanden. Hier liegt nun eine klinische Studie höheren Evidenzgrades mit einem nicht nur statistisch signifikanten, sondern auch mit einem klinisch relevanten Ergebnis vor.
Die Studie zeigt eine Überlegenheit eines mit künstlicher Intelligenz unterstützten Monitorings und Feedbacks des täglichen Zähneputzens mit einer hochmodernen elektrischen Zahnbürste gegenüber dem traditionellen Vorgehen mit einer Handzahnbürste im Rahmen einer systematischen zeitgemässen Parodontitistherapie. Das bedeutet, dass weiterführende parodontale Therapien, in aller Regel handelt es sich dabei um parodontal-chirurgische Interventionen, bei Anwendung der digital unterstützten täglichen Mundhygiene deutlich weniger indiziert sind.
Es wird interessant sein zu beobachten, inwiefern sich die vorgestellten Daten in anderen Populationen bestätigen lassen. Sehr wahrscheinlich ist aber, dass das Smartphone auch bei Personen, die nicht tagesaktuell persönliche Fotos aus dem Badezimmer teilen, in naher Zukunft seinen festen Platz in diesem Raum bekommen wird, möglicherweise ja auch bei „digital immigrants“.
Quelle:Prof. Dr. med. dent. Clemens Walter
14197 Berlin