Wenn der Blutzuckerspiegel die Stimmung lenkt – und die Praxisleistung gleich mit
Bettina VossIm Praxisalltag keine Seltenheit: Unregelmäßige Pausen und hastige Snacks, die unseren Blutzucker Achterbahn fahren lassen und die zunächst wie eine Zeitersparnis aussehen. „Ich esse später, jetzt habe ich keine Zeit“, entpuppt sich als ein tückischer Teufelskreis – mit Auswirkungen auf Stimmung, Leistungsfähigkeit, Gesundheit und letztlich auch den Praxiserfolg. Aber warum eigentlich?
Wenn wir längere Zeit nichts essen, sinkt der Blutzuckerspiegel. Unser Gehirn, das auf eine kontinuierliche Glukose-Zufuhr angewiesen ist, schlägt Alarm. Der Körper interpretiert das Kaloriendefizit als kleinen Notfall und schüttet vermehrt Stresshormone aus – allen voran Cortisol, unser „Stresshormon“. Cortisol sorgt dafür, dass gespeicherte Energiereserven mobilisiert werden, um den Blutzucker wieder anzuheben. Kaffee auf leeren Magen verstärkt diesen Effekt noch. Zwar bringt uns das Stresshormon vorübergehend auf Touren, doch das hat seinen Preis. Bleibt Nahrung weiterhin aus, hält der Körper den Cortisolspiegel lange hoch – länger als eigentlich gesund wäre. Studien zeigen, dass Menschen, die regelmäßig das Frühstück auslassen, bis in den Nachmittag hinein erhöhte Cortisolwerte aufweisen. Das bedeutet: Wir laufen stundenlang im Notfall-Modus, selbst wenn wir uns mental gar nicht gestresst fühlen.
Cortisol, Bauchfett und Hormonchaos
Ein weiteres unschönes Resultat des Cortisol-Daueralarms: hartnäckiges Bauchfett. Cortisol begünstigt die Einlagerung von Fett im Bauchraum (viszerales Fett) – man spricht auch vom typischen „Stressbauch“. Selbst schlanke Personen neigen unter chronischem Stress eher zu einem kleinen Rettungsring um die Taille. Dieses Bauchfett ist nicht nur aus ästhetischer Sicht frustrierend; es wirkt auch hormonell aktiv. Fettgewebe produziert nämlich selbst Östrogen, das eine Östrogendominanz mit all ihren Symptomen herbeiführen oder verstärken kann.
So schaukeln sich die Effekte gegenseitig hoch: Stress führt zu Hormonungleichgewicht und Fettablagerung, was wiederum zu neuen hormonellen Dysbalancen führt. Ein Teufelskreis. Und was passiert, wenn wir dann endlich etwas essen – vielleicht etwas sehr Zuckerhaltiges? Ein Stück Kuchen oder Schokolade lässt den Blutzucker rasant in die Höhe schießen. Doch der schnelle Anstieg wird vom Körper mit einer Extra-Portion Insulin quittiert. Dieses Hormon transportiert den Zucker aus dem Blut in die Zellen. Bei sehr zuckerreichen Snacks schüttet die Bauchspeicheldrüse oft so viel Insulin aus, dass der Blutzucker kurz darauf wieder steil absinkt – manchmal tiefer als zuvor. Die Folge: Unterzucker. Wir fühlen uns schlapp, müde, gereizt oder nervös. Genau dieses Auf und Ab – erst Energiehoch, dann Crash – erleben viele nach dem süßen Snack. Kurzzeitig haben wir einen klaren Kopf, doch wenig später kommt das Konzentrationstief.
Wenn der Blutzucker Achterbahn fährt
Vielleicht haben Sie den Begriff „hangry“ schon mal gehört? Eine Mischung aus hungry (hungrig) und angry (wütend). Das ist kein Modewort, sondern tatsächlich wissenschaftlich erklärbar: Wenn der Blutzucker sinkt, schüttet der Körper Stresshormone wie Adrenalin und Cortisol aus. Das aktiviert den uralten Fluchtmodus – das System bereitet sich darauf vor, schnell zu rennen oder laut zu kämpfen. Was in der Steinzeit überlebenswichtig war, ist am Behandlungsstuhl oder an der Rezeption allerdings eher hinderlich. Studien bestätigen: Hunger kann direkt zu schlechter Laune und Gereiztheit führen.
Forschungsergebnisse legen nahe, dass sowohl ein zu niedriger als auch ein zu hoher Blutzuckerspiegel die kognitive Performance verschlechtern kann. Einfach ausgedrückt: Wenn unser Blutzucker Achterbahn fährt, sind unsere Nerven und unsere Konzentrationsfähigkeit mit dabei.
Hangry im Team – wenn der Blutzucker die Stimmung steuert
Jetzt stellen Sie sich mal vor, es geht nicht nur dem Behandler so, sondern dem ganzen Team. Alle „funktionieren”, hangeln sich mit Kaffee und Nervennahrung durch den Vormittag. Um 11.30 Uhr schielen die ersten zur Notfall-Schokobox oder werden knatschig, weil der Magen knurrt. Die Stimmung sinkt, die Nerven liegen blank – das spüren auch die Patienten.
Das Fatale: In stressigen Berufen fällt es oft gar nicht auf, weil wir gelernt haben, auf Autopilot zu schalten – den Funktioniermodus. Wir überspielen die Müdigkeit mit dem dritten Kaffee, die Gereiztheit mit professioneller Fassade. Aber innerlich laufen Hochleistungsprozesse ab: Der Körper pumpt Cortisol und Adrenalin, das Herz-Kreislauf-System steht unter Dampf, die Verdauung liegt brach. Und irgendwann geschieht es dann doch: Vielleicht als plötzlicher Schwindel beim Assistieren, als Blackout-Moment bei der Dokumentation oder als patzige Antwort auf eine harmlose Frage. Spätestens da merken wir: Die Energie ist weg.
Für Praxisinhaber oder -inhaberin hat das auch wirtschaftliche Folgen – ob direkt oder indirekt. Unkonzentrierte Mitarbeiterinnen machen mehr Fehler. Gereizte Teammitglieder kommunizieren schlechter miteinander und mit den Patienten. Vielleicht haben Sie es selbst schon erlebt: Diese eine Kollegin, die gegen Mittag langsam „nicht mehr so gelassen und freundlich scheint” (kein schlechter Mensch, nur unterzuckert!). Vielleicht merken Sie selbst, dass Sie nach mehreren Implantaten am Vormittag ohne eine echte Mittagspause mit einer ausgewogenen Mahlzeit ab 14 Uhr nur noch funktionieren, aber nicht mehr mit voller Empathie auf Ihre Patienten eingehen.
Die Stimmung im Team überträgt sich auf die Patienten – und damit letztlich auch auf den Erfolg der Praxis. Zufriedene, energiegeladene Mitarbeiter sind hingegen produktiver, fehlen seltener und kommen besser mit Kollegen und Patienten klar. Es lohnt sich also, für stabile Energie und gute Laune im Team zu sorgen – nicht nur für die Gesundheit, sondern auch fürs Geschäft.
Rezept-Tipp – Team-Smoothie „Smile & Shine“
Proteinreich, blutzuckerfreundlich und hormongesund – perfekt für den Start in den Tag im Praxisteam.
Zutaten & Wirkung (für 5 Portionen):
1,5 Avocados: gesunde Fette – machen satt und wirken entzündungshemmend, stabilisieren den Blutzucker und liefern Vitamin E für Haut, Nerven und Hormone
2 kleine Äpfel (mit Schale): Ballaststoffe und natürliche Süße, enthalten Pektin für die Verdauung, Vitamin C und Antioxidantien
2 große Hände Spinat oder Grünkohl (geht natürlich auch tiefgefroren, ca. 100 g): Eisen, Magnesium, Chlorophyll – unterstützt Energie, Entgiftung und Hormonbalance
5 EL Whey (Molke), alternativ für Vegetarier auch pflanzliches Proteinpulver: Baustoff für Zellen, Muskeln und Hormone. Sättigt und unterstützt den Stoffwechsel
2,5 EL Mandel- oder Erdnussmus (ungesüßt): gute Fette und Eiweiß. Stabilisiert den Blutzucker, liefert Magnesium für Konzentration
1 TL Ceylon-Zimt: blutzuckerregulierend und sehr angenehme Note, ideal bei hormoneller Dysbalance
400-450 ml ungesüßte Mandelmilch oder Haferdrink: laktosefrei, leicht und verträglich
Saft von 1,5 Zitronen: Vitamin C-Booster, fördert Eisenaufnahme, bringt Frische
1,5 bis 2 cm frischer Ingwer (optional): entzündungshemmend, anregend, stärkt das Immunsystem
Zubereitung:
Alle Zutaten in einem Mixer gut vermischen. Ggf. mit etwas Wasser oder mehr Pflanzenmilch auf die gewünschte Konsistenz bringen. In 5 Gläser oder Flaschen abfüllen.
Raus aus dem Teufelskreis mit konkreten Tipps
Die gute Nachricht ist: Man kann eine Menge tun, um die Blutzucker-Achterbahn zu entschärfen und für konstantere Energie zu sorgen. Hier einige praxisnahe Tipps, die sich leicht umsetzen lassen:
Szenario: Jeden Morgen, bevor die Hektik losgeht, nimmt sich das Team fünf Minuten Zeit: Gemeinsam wird ein großer Smoothie gemixt. Vielleicht bringt jeden Tag jemand anderes eine neue Kreation mit oder es gibt feste „Smoothie-Wochenrezepte”. Alle bekommen ein kleines Glas oder Becher – und stoßen quasi auf den Tag an, mit Vitaminen statt Sekt. Klingt idyllisch? Ist es auch ein bisschen. Aber vor allem ist es praktisch. Denn so ein Smoothie geht schnell, lässt sich vorbereiten und nebenbei trinken. Und er liefert genau das, was im Praxisalltag oft zu kurz kommt: Nährstoffe, Flüssigkeit und Energie – ohne Zucker-Schock. Zu beachten ist dabei, dass der Smoothie kein reiner Fruchtzucker-Bomben-Mix ist. Also nicht nur Orangensaft und Banane, sonst hätten wir zwar Vitamine, aber auch wieder einen raschen Blutzuckeranstieg. Der Trick ist, Ballaststoffe und etwas Eiweiß einzubauen: z. B. durch Blattspinat, Haferflocken, Joghurt oder Nüsse. Die merkt man geschmacklich kaum, aber sie bremsen den Zuckeranstieg und machen satt.
Feste Pausenzeiten einplanen – eine echte Pausenkultur. Nicht als „wenn mal Zeit ist“-Lösung, sondern als festen Bestandteil des Tages. Gönnen Sie sich – und ihrem Team – bewusste Pausen. Auch wenn es manchmal nur kurz ist: Die Mittagspause sollte wirklich eine Pause sein. Kein Brötchen im Stehen, kein Scrollen durch Mails zwischen zwei Behandlungen – sondern ein Moment des Durchatmens. Weg vom Behandlungsstuhl, raus aus dem Kopf. Denn Pausen sind kein Luxus, sondern ein notwendiger Booster für Konzentration, Stimmung und Leistung. Wenn der Zahnarzt das vorlebt, lebt es das Team mit.
Klug snacken statt naschen: Wenn der kleine Hunger kommt, sind gesunde Snacks die Lösung. Ideal sind z.B. eine handvoll Nüsse, ein Naturjoghurt mit Beeren oder Gemüsesticks mit Humus. Diese liefern Proteine, gesunde Fette und Ballaststoffe – Nährstoffe, die den Blutzucker stabil halten. Süße Snacks sollten die Ausnahme bleiben. Wenn Süßes, dann in Kombination mit etwas Eiweiß oder Fett, um den Blutzucker weniger rasch in die Höhe schießen zu lassen.
Vorbildfunktion nutzen: Als Chef oder Chefin prägen Sie die Praxisphilosophie. Wenn Sie selbst keine Pausen machen, wird das Team es gleichtun – bewusst oder unbewusst. Und falls Sie schon bewusst auf Pausen und Ernährung achten, signalisieren Sie ihrem Team, dass das nicht nur „Chefsache“ ist, sondern auch vorteilhaft für das ganze Team und jeden Einzelnen.
Lohnt sich das für meine Praxis?
Mal ganz „wirtschaftlich“ gedacht: Die Kosten? Überschaubar. Ein paar Beeren, Gemüse, Joghurt – das Budget pro Tag ist geringer als die Kosten einer einzelnen Ausfallstunde durch Krankheit oder einer unzufriedenen Patientin, die wegen unfreundlicher Behandlung nicht wiederkommt.
Ein Smoothie allein wird keine Praxis retten. Er löst keine Personalengpässe und ersetzt keine Teambesprechung. Aber er kann dafür sorgen, dass das Team mit stabiler Energie durch den Vormittag kommt. Dass niemand um 11.30 Uhr gereizt nach dem nächsten Snack sucht oder plötzlich in ein Energieloch fällt. Denn: Ein stabiler Blutzuckerspiegel bedeutet auch eine stabilere Stimmung. Und das ist spürbar – im Umgang miteinander, in der Kommunikation mit Patienten und in der Qualität der Arbeit. Die Investition lohnt sich also mehrfach: Die Investition in Gesundheit, Zufriedenheit und Praxis-Erfolg.
Wie sich der Alltag in der Zahnarztpraxis verändern könnte, wenn Sie die Blutzucker-Achterbahn entschärfen
Vorher: Szenario eines oft normalen Arbeitstages
Morgens geht alles viel zu schnell. Ich komme kaum aus dem Bett, schon bin ich unterwegs in die Praxis – ohne Frühstück komme ich in der Praxis an, aber mit einem großen Kaffee in der Hand. Der muss jetzt reichen. Ich weiß, dass es nicht ideal ist, aber es ist, wie es ist. Bis elf Uhr halte ich irgendwie durch, doch dann knurrt der Magen. Ich merke, wie meine Konzentration nachlässt, meine Gedanken springen, ich werde fahrig. Ich öffne den Kühlschrank im Aufenthaltsraum, in der Hoffnung, dass sich noch etwas Essbares findet: „YES!“ Das letzte Stück Kuchen von Sabines Geburtstag steht ganz hinten unter Alufolie verpackt! Ich schlinge es hastig runter. Das tut gut. Kurz darauf fühle ich mich wie neu aufgeladen. Der Zucker pusht mich, ich funktioniere wieder. Doch das hält nicht lange. Die Mittagspause kommt… und geht. Statt einer echten Pause schiebe ich mir ein Brötchen vom Bäcker zwischen zwei Behandlungen in den Mund, im Stehen, halb mit dem Kopf schon wieder beim nächsten Patienten. Am Nachmittag dann das übliche Tief. Ich fühle mich gereizt, genervt und erschöpft: Ich greife zum nächsten Kaffee, ein paar kleine Kekse hinterher – Hauptsache, ich halte irgendwie durch...
Nachher: Alternatives Szenario – mit mehr Erfolg
Nach einem langen und vollen Tag in der Praxis kommst du nicht erschöpft, sondern stolz nach Hause. Du bist klar im Kopf, dein Energielevel ist erstaunlich stabil, und das Beste: Kein Heißhunger! Anstatt im Stehen den Kühlschrank zu durchwühlen, hast du sogar Lust, etwas Gutes zu kochen oder eine Runde um den Block zu drehen. Vielleicht streifst du dir aber auch gemütlich die Jogginghose über, lehnst dich zurück und denkst: Heute lief’s richtig gut. Für die Patienten. Fürs Team. Und für mich. Das ist ein verdammt gutes Gefühl. So darf Feierabend klingen. So darf Erfolg schmecken. Und wer weiß, vielleicht gibt es morgen früh wieder diesen Smoothie mit dem lustigen Namen, bei dem selbst die jüngste Auszubildende, die sich sonst lieber mit Energy Drinks und Remouladenbrötchen durch den Tag rettet, einen Schluck genommen hat, die Augenbrauen hochzog und grinsend meinte: „Boah, das schmeckt ja sogar!“ Cheers! Du hast heute nicht nur viel geschafft, sondern auch gut auf dich und dein Team geachtet!