Niederlassung auf dem Land: „Die Chancen sind riesig!“
D&W RedaktionAm Westrand des Erzgebirges zeigt sich ein Bild, das in vielen Regionen Ostdeutschlands typisch ist: Zahlreiche Zahnärztinnen und Zahnärzte stehen kurz vor dem Ruhestand, während die Praxisdichte vergleichsweise gering ist. Doch für Dr. Hanna Mauritz war genau das eine Chance. Sie entschied sich bewusst für die Selbstständigkeit in Bad Schlema und hat dort eine moderne Praxis für Familienzahnheilkunde aufgebaut – mit besonderen Schwerpunkten in der Kinder- und Jugendzahnmedizin sowie der Parodontaltherapie.
Mit viel Engagement treibt sie die Digitalisierung voran, setzt auf ein starkes Team und geht neue Wege in der Patientenversorgung. Für ihren Innovationsgeist und ihr unternehmerisches Gespür wurde sie auf der IDS mit dem ersten „Female Founder Award“ ausgezeichnet. Im Interview spricht sie über die Herausforderungen einer Praxisübernahme, die Bedeutung eines guten Teams und ihre Vision für die Zukunft.
Frau Dr. Mauritz, Sie haben sich nach Ihrem Studium und der Assistenzzeit für die Selbstständigkeit in Bad Schlema entschieden. Was hat Sie dazu bewogen, eine Praxis in einer ländlichen Region zu eröffnen?
Ich habe sowohl in einer städtischen als auch in einer ländlichen Praxis gearbeitet und gemerkt, dass mir das Arbeiten auf dem Land mehr liegt. Die Patientenbindung ist hier einfach viel enger – man kennt sich, oft kommen mehrere Generationen einer Familie zu uns in die Praxis. Zudem war mein Mann beruflich in der Region gebunden, sodass es für uns als Familie naheliegend war, hier sesshaft zu werden. Die Entscheidung für die Selbstständigkeit fiel mir letztlich leicht, weil ich mir meine Arbeit so flexibler gestalten kann.
Haben Sie Ihre Assistenzzeit in einer kleinen oder großen Praxis absolviert?
Ich war sowohl in einer kleinen Landpraxis als auch in einer größeren Stadtpraxis tätig. Das war eine wertvolle Erfahrung, weil ich beide Modelle kennenlernen konnte. In der Landpraxis habe ich erlebt, wie viel persönlicher das Arbeiten ist, während ich in der Stadtpraxis Einblick in ein größeres Team mit spezialisierten Abläufen bekommen habe. Das hat mir geholfen, für meine eigene Praxis die besten Elemente aus beiden Welten zu kombinieren.
Welche Faktoren waren für Sie ausschlaggebend, diesen Schritt zu wagen – sowohl beruflich als auch privat?
Beruflich hat mich vor allem die Unabhängigkeit gereizt. Ich wollte eigene Schwerpunkte setzen und Behandlungskonzepte nach meinen Vorstellungen umsetzen. Privat war die Standortwahl ebenfalls entscheidend: Die Region bot meinem Mann eine unbefristete Stelle, und für uns als Familie mit mittlerweile drei Kindern ist das Leben hier ideal. Die Selbstständigkeit ermöglicht mir zudem eine flexiblere Zeiteinteilung, was gerade mit Kindern sehr wertvoll ist.
Welche Vorteile bietet eine Zahnarztpraxis auf dem Land im Vergleich zu einer Praxis in der Stadt?
Eine Praxis auf dem Land hat viele Vorteile, die man auf den ersten Blick vielleicht nicht sieht. Was ich besonders schätze, ist die enge und persönliche Bindung zu den Patienten. Man kennt sich, es entsteht ein familiäres Verhältnis – sowohl zwischen Patienten und Team als auch innerhalb des Teams selbst. Zudem sind die Wege kürzer. Das bedeutet weniger Stress durch Staus und lange Pendelzeiten, was sowohl für meine Mitarbeiterinnen als auch für mich eine bessere Work-Life-Balance ermöglicht. Auch wirtschaftlich gibt es Vorteile: Gerade in ländlichen Regionen gibt es einen steigenden Bedarf an zahnmedizinischer Versorgung, da viele Praxen keinen Nachfolger finden. Das schafft eine langfristig sichere Patientenbasis.
Wie erleben Sie den Praxisalltag in Ihrer Region?
Unsere Patientenstruktur ist durch die Praxisübernahme geprägt: Ein großer Teil ist älter, viele kommen schon seit Jahrzehnten in die Praxis. Das bringt eine hohe Verlässlichkeit mit sich. Gleichzeitig haben wir auch viele junge Familien, da sich die Region zunehmend entwickelt. Was mich besonders freut, ist die gute Zahlungsmoral unserer Patienten. Die meisten begleichen ihre Rechnungen direkt nach der Behandlung per Karte, sodass wir kaum Zahlungsausfälle haben. Ein Factoring-Unternehmen nutzen wir zwar, aber tatsächlich nur in Ausnahmefällen. Dadurch können wir uns voll und ganz auf die Behandlung konzentrieren, ohne uns mit aufwendigem Mahnwesen befassen zu müssen.
Was macht eine Zahnarztpraxis auf dem Land für engagiertes Personal attraktiv? Gibt es besondere Anreize, die Sie Ihrem Team bieten?
Ich glaube, ein großer Pluspunkt ist die familiäre Atmosphäre. Unser Team arbeitet sehr eng zusammen, und meine Tür steht immer offen. Meine Mitarbeiterinnen schätzen es, dass sie keine langen Anfahrtswege haben und sich die Arbeit gut mit dem Privatleben vereinbaren lässt. Außerdem lege ich Wert darauf, dass sich alle wohlfühlen – sei es durch eine faire Bezahlung oder durch zusätzliche Anreize. Wir bieten beispielsweise eine betriebliche Altersvorsorge an und haben eine sogenannte „Biokiste“, die regelmäßig mit frischem Obst und Gemüse geliefert wird. Das sind kleine Dinge, die aber im Alltag viel ausmachen und von meinem Team sehr geschätzt werden.
Wie gestalten Sie die Arbeitsbedingungen in Ihrer Praxis, um Fachkräfte langfristig zu binden?
Mir ist wichtig, dass sich mein Team nicht nur fachlich weiterentwickeln kann, sondern auch ein Umfeld hat, in dem es sich wohlfühlt. Deshalb übernehme ich beispielsweise die Kosten für Fortbildungen, inklusive Fahrtkosten und zusätzlicher Fortbildungstage. Pro Jahr sind vier Fortbildungstage eingeplant, die als Arbeitszeit gelten. Außerdem gibt es eine transparente und faire Bezahlung. Ich bin überzeugt, dass ein motiviertes Team der Schlüssel zu einer erfolgreichen Praxis ist. Deshalb investiere ich gerne in mein Team – denn zufriedene Mitarbeiter sorgen letztlich auch für zufriedene Patienten.
Welche Rolle spielen moderne Behandlungsmethoden und innovative Konzepte bei der Gewinnung und Bindung von Mitarbeitern?
Natürlich spielt moderne Technik eine Rolle, aber für mich ist noch etwas anderes entscheidend: Das Team muss hinter der Praxisphilosophie stehen. Ich merke, dass meine Mitarbeiterinnen motivierter sind, wenn sie sich mit unserer Art der Patientenversorgung identifizieren. Das bedeutet, dass wir nicht nur technisch auf dem neuesten Stand bleiben, sondern auch regelmäßig Fortbildungen besuchen, um uns fachlich weiterzuentwickeln. Das gibt neue Impulse und sorgt dafür, dass die Arbeit abwechslungsreich bleibt. Ich glaube, dass Innovation nicht nur eine Frage der Technik ist, sondern auch der Haltung – und die entsteht durch eine starke Teamkultur.
Welche Rolle spielt die Digitalisierung in Ihrer Praxis? Gibt es digitale Lösungen, die die Arbeit erleichtern und die Praxis zukunftssicher machen?
Ich hatte das große Glück, eine Praxis zu übernehmen, die vollständig digitalisiert war. Das hat den Einstieg enorm erleichtert. Unsere Behandlungsabläufe sind digital vernetzt, wir arbeiten weitgehend papierlos. Ein Bereich, in dem ich noch Verbesserungen sehe, sind die digitalen Anamnesebögen – da wollen wir in Zukunft umstellen. Die Telematikinfrastruktur spielt aktuell noch eine untergeordnete Rolle, da viele unserer Patienten damit nicht vertraut sind. Aber für die Zukunft ist es sicher wichtig, hier weiter dranzubleiben.
Als Mutter von drei Kindern haben Sie sich bewusst für die Selbstständigkeit entschieden. Welche Vorteile bietet eine Praxis auf dem Land in Hinblick auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf?
Ein großer Vorteil ist, dass ich meine Arbeitszeiten selbst gestalten kann. Ich kann zum Beispiel die Ferienzeiten meiner Kinder berücksichtigen und so planen, dass Familie und Beruf in Einklang stehen. Zudem sind die Wege hier kurz – sowohl zur Praxis als auch zu Schulen oder zur Betreuung. Das spart Zeit und macht den Alltag entspannter.
Welche Herausforderungen gibt es und wie gehen Sie damit um?
Natürlich gibt es auch Herausforderungen, vor allem wenn ein Kind krank wird oder kurzfristig Betreuungsprobleme auftreten. In solchen Fällen hilft es, ein flexibles Team zu haben, das einspringen kann. Außerdem hat Sachsen eine gute institutionelle Kinderbetreuung, was für mich als berufstätige Mutter eine große Erleichterung ist.
In vielen ländlichen Regionen gibt es eine geringe Praxisdichte und viele Zahnärzte stehen kurz vor dem Ruhestand. Welche Chancen sehen Sie für junge Zahnärztinnen und Zahnärzte in solchen Gebieten?
Die Chancen sind riesig! Während in den Städten die Konkurrenz oft groß ist, gibt es in ländlichen Regionen eine hohe Nachfrage. Viele ältere Zahnärzte suchen Nachfolger, sodass man oft eine bestehende Patientenbasis übernehmen kann. Außerdem hat man auf dem Land mehr Gestaltungsspielraum – sei es in der Praxisorganisation oder in der Wahl der Behandlungsschwerpunkte.
Die Dentista-Vorsitzende Rebecca Otto hat gesagt: „Eine Ehe ist risikoreicher als eine Gründung“. Welche Tipps würden Sie Zahnärztinnen geben, die mit dem Gedanken spielen, eine Praxis in einer ländlichen Region zu übernehmen oder zu gründen?
Ich finde diesen Vergleich großartig, weil er verdeutlicht, dass eine Gründung oft kalkulierbarer ist als viele denken. Mein Tipp wäre: Einfach machen! Natürlich sollte man sich gut vorbereiten, eine solide Finanzierung haben und sich über Fördermöglichkeiten informieren. Aber man darf sich auch nicht von Ängsten lähmen lassen. Ich empfehle, sich mit erfahrenen Praxisinhabern auszutauschen und sich frühzeitig betriebswirtschaftliches Wissen anzueignen. Und ganz wichtig: Ein starkes Team aufbauen – das macht den Unterschied!
Wo sehen Sie Ihre Praxis in fünf bis zehn Jahren? Vielleicht eine Gemeinschaftspraxis? Welche weiteren Entwicklungen und Innovationen planen Sie?
Ich kann mir gut vorstellen, die Praxis perspektivisch auszubauen und einen Zahnarzt oder eine Zahnärztin anzustellen. Auch die Prophylaxe wollen wir weiter stärken und innovative Konzepte für die Parodontaltherapie umsetzen. Digitalisierung wird ebenfalls ein großes Thema bleiben. Ich freue mich darauf, unsere Praxis Schritt für Schritt weiterzuentwickeln und unsere Patienten bestmöglich zu versorgen.
Das Interview führte Beata Luczkiewicz