Zahnarzthaftung: In diesen Fällen nehmen Gerichte Behandlungsfehler an
Judith MeisterDie Rechtsprechung zur Zahnarzthaftung wird immer komplexer und umfangreicher. Einige wegweisende Entscheidungen der vergangenen Jahre sollte aber jeder Zahnarzt kennen.
Zahnärztliche Behandlungsfehler definiert die Rechtsprechung als „zahnärztliche Maßnahmen, die nicht dem allgemein anerkannten fachlichen Standard entsprechend und durch die dem Patienten ein Schaden entsteht.“ Denkbar sind solche Abweichungen vom Standard in Form von Diagnosefehlern, Aufklärungsfehlern, Therapiefehlern, Dokumentationsfehlern oder Fehlern bei der Ausführung einer Behandlung.
Da der zahnmedizinische Standard sich im Laufe der Zeit verändert und auch die Patientenrechte durch den Gesetzgeber systematisch ausgebaut wurden, sollten Zahnärzte die Entwicklungen der Rechtsprechung aufmerksam verfolgen, um ihre Risiken richtig einschätzen zu können.
Doch auch einige Klassiker unter den haftungsrechtlichen Urteilen sollten Praxischefs auf dem Schirm haben. Dental & Wirtschaft hat daher eine Auswahl wegweisender Entscheidungen zusammengestellt.
Der richtige Schliff – und die passende Dokumentation
Die Höhe der unteren Frontzähne gilt in der zahnärztlichen Funktionslehre grundsätzlich als unantastbar. Sie dürfen daher nur in begründeten Ausnahmefällen eingeschliffen werden. Ein solcher Ausnahmefall ist zudem genau zu dokumentieren. Fehlt es daran, gehen die Gerichte davon aus, dass die Voraussetzungen eines Ausnahmefalls nicht vorlagen – der Zahnarzt haftet (OLG Oldenburg).
Führt das Einschleifen beim Einpassen von Zahnersatz dazu, dass eine korrekte Okklusion nicht erreicht wird, die Kosmetik leidet und beschädigt der Zahnarzt dabei zudem Keramikverblendungen, ist darin zumindest ein einfacher Behandlungsfehler zu sehen. Der Patient kann (im Jahr 2001) ein Schmerzensgeld von 1.500 Euro verlangen (OLG Oldenburg).
Milchzähne dürfen nicht mehr als einen Millimeter abgeschliffen werden, zumal als Behandlungsalternative auch eine sofortige Extraktion denkbar ist. Erleidet ein Kind infolge des nicht fachgerechten Abschleifens der Milchzähne Schmerzen und muss es in der Folge die Versorgung der Dentinwunde über sich ergehen lassen, ist ein Schmerzensgeld von 2.000 Euro angemessen (Stand: 2017) (OLG Hamm).
Passend Planen für Prothetik
Zu einer fachgerechten prothetischen Planung gehören diverse Befunderhebungen. Der Zahnarzt muss zudem die Werthaltigkeit der zu überkronenden Zähne untersuchen und eine Vitalitätsprüfung durchführen. Ist eine solche Prüfung nicht dokumentiert, ist davon auszugehen, dass diese auch nicht stattgefunden hat. Eine Orthopantomographie allein erlaubt jedenfalls keine eindeutige Einschätzung der apikalen Situation (LG Karlsruhe, Az. ).
Es stellt eine Abweichung von zahnmedizinischem Standard dar, eine Lücke (hier: 15/16) mit einer Brücke (hier: 14–17) zu versorgen, wenn die Ausheilphase von mindestens sechs Monaten noch nicht abgeschlossen ist und es dann zu einer Spaltbildung zwischen der Brückenbasis und dem Zahnfleisch kommt. Wurde die Brücke zudem definitiv eingesetzt, ist eine Nachbesserung ausgeschlossen. Es kommt stattdessen nur noch eine Neuplanung und Neuherstellung in Betracht (LG Karlsruhe, Az. 6 O 140/17).
Leidet ein Patient an einer craniomandibulären Dysfunktion, ist vor der endgültigen prothetischen Versorgung zunächst eine funktionelle Therapie durchzuführen. Unterlässt der Zahnarzt dies, liegt darin ein grober zahnärztlicher Behandlungsfehler (OLG ), der eine Zahlung von 7.000 Euro Schmerzensgeld rechtfertigt (Stand: 2014).
Die Überkronung eines Zahns trotz parodontaler Beeinträchtigung und das Belassen zu kurzer Wurzelfüllungen ist nur nach Erteilung eines Hinweises auf die damit verbundenen Risiken vertretbar (OLG Düsseldorf).
Die endgültige Eingliederung einer Zahnprothese in den zahnlosen Oberkiefer einer Patientin ist grob fehlerhaft, wenn die zur Verankerung eingebrachten Implantate in dem (etwa durch Knochenabbau) geschädigten Kiefer keinen genügenden Halt finden. Für den durch diesen Behandlungsfehler verursachten Schwund des Kieferknochens und einer hierauf beruhenden irreversiblen Protheseninstabilität ist ein Schmerzensgeld von 12.800 Euro angemessen (Stand: 1998) (OLG Köln).
Aufklären mit Augenmaß
Vor der Extraktion eines Weisheitszahnes in einer Zahnarztpraxis muss der behandelnde Zahnarzt nicht darüber aufklären, dass der Eingriff auch in einer kieferchirurgischen Praxis durchgeführt werden könnte (OLG Dresden, Az. 4 U 1775/20).
Zahnärzte müssen ihre Patienten auch nicht über verschiedene Präparationsmethoden (hier: Stufenpräparation gegenüber Hohlkehlpräparation) aufklären, da diese ähnliche Risiken hinsichtlich einer (vorliegend eingetretenen) Pfeilerzahnfraktur bergen. Die Anwendung der einen oder der anderen Präparationsmethode stellt ebenfalls keinen Behandlungsfehler dar (OLG Karlsruhe, Az. 7 U 118/18).
Patienten sind auf die Versorgungsalternativen einer implantatgetragenen Brücke hinzuweisen, wenn diese zumindest gleichwertige Chancen und vergleichbare Risiken gegenüber der herkömmlichen Brückenkonstruktion oder Teleskopprothese bieten. (OLG Hamm, Az. 3 U 84/94).