Wechseljahre im Praxisalltag: Was tun?
Bettina VossWir reden oft über Fachkräftemangel, Nachwuchsprobleme, Motivationstrainings und Systemoptimierungen. Neue Tools und innovative Software stehen im Fokus. Doch wann haben wir zuletzt wirklich wahrgenommen, wer tatsächlich Tag für Tag die Zahnarztpraxis zusammenhält?
Es sind nicht nur Systeme, Prozesse oder Tools. Es sind Menschen – insbesondere Frauen, die seit Jahren still und unsichtbar alles zusammenhalten. Frauen, die mitdenken, beruhigen, vermitteln und einspringen, wo immer Not am Mann – oder besser gesagt an der Frau – ist. Doch was passiert, wenn Praxen diese tragenden Säulen verlieren?
Das unsichtbare Tabu: Wechseljahre im Praxisalltag
Viele erfahrene Frauen, die viele Praxen tragen, befinden sich heute in einer Lebensphase, über die kaum jemand offen spricht: in den Wechseljahren. Es ist keine Krankheit, sondern ein natürlicher, aber tiefgreifender Umbau des weiblichen Körpers:
Östrogen sinkt und beeinflusst Schlafqualität, Schleimhäute und emotionales Gleichgewicht.
Progesteron, unser Ruhe- und Schlafhormon, nimmt ab.
DHEA, unser natürlicher Stresspuffer, reduziert sich, während Cortisol, unser Stresshormon, ansteigen kann.
Mögliche Folgen sind oft einschneidend: Schlafstörungen, Konzentrationsschwächen, Erschöpfung, Stimmungsschwankungen, Gelenk- und Muskelschmerzen, Hitzewallungen, Herzrhythmusstörungen, innere Unruhe und Gewichtszunahme – Symptome, die Leistung und Wohlbefinden massiv beeinträchtigen.
Prä-, Peri-, Postmenopause – was passiert wann?
Die Wechseljahre beginnen oft viel früher als angenommen. Bereits ab Mitte bis Ende 30 kann sich der weibliche Körper langsam und unbemerkt auf diese Phase vorbereiten (Prämenopause). Etwa ab Anfang bis Mitte 40 treten dann bei vielen Frauen erste subtile Symptome auf, die jedoch oft nicht mit hormonellen Veränderungen in Verbindung gebracht werden (Perimenopause). Dies kann sich beispielsweise in veränderten Zyklen oder leichter innerer Unruhe äußern.
Die eigentliche Menopause, definiert als der Zeitpunkt, an dem die letzte Regelblutung zwölf Monate zurückliegt, tritt durchschnittlich im Alter von 51 Jahren auf. Die Phase danach, die Postmenopause, ist gekennzeichnet durch stabil niedrige Hormonspiegel, bringt jedoch oft neue Herausforderungen, wie vermehrte Gelenkschmerzen oder erhöhtes Osteoporoserisiko, mit sich.
Was passiert, wenn wir nicht hinschauen? Viele Frauen kompensieren ihre Beschwerden unbemerkt und schleichend über Jahre hinweg:
Obwohl sie zunehmend erschöpft sind, arbeiten sie in ihrem gewohnten Pensum weiter und wundern sich, warum sie nicht mehr so belastbar und flexibel sind.
Sie greifen zu Schmerzmitteln, um Beschwerden zu lindern.
Sie wechseln aus den Bereichen, die ihnen nicht mehr guttun, etwa von der Prophylaxe in die Verwaltung.
Und irgendwann kommt der Punkt, an dem sie innerlich ausbrennen und sich still und unbemerkt zurückziehen. Die Folge: frühzeitiger Ruhestand, mehr Krankheitstage, reduzierte Arbeitszeit oder Kündigung.
Was bedeutet das für die Praxis?
Jede erfahrene Frau, die eine Praxis verliert, hinterlässt eine schwer zu füllende Lücke – fachlich, menschlich und wirtschaftlich. Sie ist oft Ansprechpartnerin für Patienten, Orientierungspunkt für jüngere Kolleginnen und Garantin für stabile Abläufe. Der Verlust dieser Frauen bedeutet nicht nur kurzfristige Engpässe, sondern langfristigen Wissensverlust und sinkende Qualität. Junge Kolleginnen lernen durch Vorbildfunktion. Wenn erfahrene Mitarbeiterinnen ausscheiden, sendet das ein fatales Signal an den Nachwuchs.
Der Schlüssel zum Erfolg
Häufig ist nicht nur die körperliche Belastung, sondern auch die zwischenmenschliche Kommunikation in der Praxishierarchie ein wesentlicher Faktor. Frauen Ü40 sind in einer Lebensphase angekommen, in der sie eine wertschätzende und respektvolle Kommunikation brauchen. Sie sind erwachsene Frauen, die Familien organisieren, Eltern pflegen und sich um Kinder oder Enkelkinder kümmern. Wenn Wertschätzung und Verständnis fehlen, bleibt keine Energie mehr für die Praxis.
Insbesondere, wenn Arbeitsabläufe und -zeiten ständig angeordnet werden, Notdienste kurzfristig übernommen werden müssen oder Besprechungen nach Feierabend stattfinden, entsteht ein Energieverlust, der nicht mehr so einfach kompensiert werden kann. Wenn Aufgaben ohne Absprache ständig wechseln, beispielsweise von der Rezeption zur Prophylaxe, belastet dies zusätzlich.
Es braucht Planungssicherheit, um sich auf die Arbeit einzustellen und um gesunde Leistung bringen zu können, die Freude bereitet. Wenn die Mitarbeiterin spürt, dass sie nicht mehr mitentscheiden darf, entsteht ein Gefühl von Frustration und innerlicher Kündigung. Gerade jüngere Zahnärztinnen, Zahnärzte oder Praxismanagerinnen sollten sich bewusst sein, dass jahrelange Expertise und das tiefe Verständnis erfahrener Mitarbeiterinnen für Abläufe und Patienten ein wertvolles Gut sind, das ernst genommen werden sollte.
Blick in die Literatur
Beruflicher Rückzug ist die Regel, nicht die Ausnahme
Die deutschlandweite MenoSupport-Studie (HWR Berlin, 2023) belegt in einer Onlinebefragung von 2.119 berufstätigen Frauen:
18,4 % der Befragten wechselten den Arbeitsplatz wegen Wechseljahresbeschwerden.
Jede 10. Frau (bei Ü55 fast jede 5.) ging früher in den Ruhestand.
23,7 % reduzierten ihre Arbeitszeit.
Fast 1/3 der Frauen war wegen Beschwerden krankgeschrieben oder nahm unbezahlten Urlaub.
Nur 4,2 % fühlten sich vom Arbeitgeber gut unterstützt.
Diese Symptome umfassen u. a. Konzentrationsverlust, Gereiztheit, kognitive Einbrüche, Erschöpfung – alles Faktoren, die in der zahnärztlichen Assistenz oder Verwaltung stark ins Gewicht fallen.
Der wirtschaftliche Schaden ist messbar
Eine Parlamentsstudie aus Großbritannien („Menopause and the Workplace“, UK House of Commons, 2022) zeigt eindrucksvoll:
14 Millionen Arbeitstage gehen jährlich durch Wechseljahresbeschwerden verloren.
Der wirtschaftliche Gesamtschaden beläuft sich auf ca. £ 1,9 Mrd jährlich.
Etwa 900.000 Frauen haben den Beruf wegen der Wechseljahre verlassen.
Diese Zahlen lassen sich nicht direkt auf Deutschland übertragen – aber angesichts der demografischen Lage und des Fachkräftemangels sind die Parallelen alarmierend.
Für die Praxis heißt das:
Wenn engagierte Mitarbeiterinnen kündigen, krank werden oder sich zurückziehen, kann das mit den Wechseljahren zu tun haben – und ist kein „persönliches Problem“. Ein offener Umgang und einfache Anpassungen im Praxisalltag könnten helfen, wertvolle Fachkräfte zu halten.
Was kann man in der Praxis konkret tun?
Ein Arbeitsplatz, der mitdenkt – und mitwächst. Vielleicht ist die Kollegin, die früher acht Stunden souverän Prophylaxe gemacht hat, heute glücklicher, wenn sie zwischendurch Aufgaben im Steri übernimmt. Gut für die Gedanken, als auch für den Körper – denn mit dem Wechsel des Fokus kann auch der Wechsel der Körperhaltung guttun.
Wenn lange Schichten an der Rezeption oder in der Assistenz anstehen, hilft es, feste Pausen zu ermöglichen – und sie auch zu schützen. Eine kurze Ablösung oder einfach mal den AB anschalten, wenn es besonders turbulent ist, kann Wunder wirken.
Konzentrationsphasen bewusst einbauen: QM, Dokumentation oder Bestellungen lassen sich entspannter erledigen, wenn man sich dafür für eine Stunde aus dem Praxisalltag zurückziehen darf.
Und manchmal steckt in einer Kollegin mehr als der Jobtitel zeigt: Vielleicht bringt sie Begeisterung fürs Thema Ernährung mit – oder Freude daran, das Teamfest zu organisieren. Eine andere möchte sich um die Raumgestaltung kümmern. Wieder eine andere findet Ruhe und Zufriedenheit in der Abrechnung – mit Tür zu und Fokus.
Es geht nicht darum, Rollen neu zu verteilen – sondern sie lebendig zu halten. Wer in dieser Lebensphase verstanden wird und sich einbringen darf, bleibt mit Freude im Team. Und das spürt die ganze Praxis.
Ein Appell zum Umdenken
Wir müssen anerkennen, dass Frauengesundheit kein Luxusproblem, sondern ein zentraler Faktor für den langfristigen Erfolg einer Zahnarztpraxis ist. Der wirtschaftliche und menschliche Preis des Ignorierens ist zu hoch.
Die Zukunft gehört Praxen, die mutig genug sind, neue Wege zu gehen – und damit nicht nur ihre erfahrensten Frauen schützen, sondern zugleich den Weg ebnen für kommende Generationen, die gesunde, wertschätzende und nachhaltige Arbeitsplätze suchen.
Denn eines ist klar: Wir können es uns nicht leisten, auf diese tragenden Säulen zu verzichten. Es ist an der Zeit, dies klar zu erkennen – und zu handeln.