Wirtschaftsnachrichten für Zahnärzte | DENTAL & WIRTSCHAFT
ICD-10 in der Zahnarztpraxis
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Viele Zahnärztinnen und Zahnärzte betrachten die ICD-10-GM nach wie vor als medizinische Systematik, die vor allem in der Allgemeinmedizin und in Krankenhäusern eine Rolle spielt. Doch damit sind sie nicht mehr auf dem neuesten Stand. Auch in der vertragszahnärztlichen Versorgung gibt es klare Anwendungsfälle, in denen Zahnärzte Diagnosen gemäß ICD-10-GM kodieren müssen – das ist sogar gesetzlich vorgeschrieben und somit für ihre Praxis relevant. Parallel gewinnt die Diagnosenverschlüsselung auch im Kontext der Digitalisierung (z. B. ePA, KIM) zunehmend an Bedeutung. Es wird also Zeit, sich intensiver mit dem Thema auseinanderzusetzen.

Was ist die ICD-10-GM?

Die ICD-10-GM (German Modification) ist die in Deutschland gültige, vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) jährlich angepasste Fassung der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10). Herausgeber ist die Weltgesundheitsorganisation (WHO), für die deutsche Anpassung ist das BfArM zuständig.

Ziel ist die einheitliche, systematische und maschinenlesbare Verschlüsselung von Diagnosen – als Grundlage für Abrechnung, epidemiologische Forschung, statistische Auswertungen und digitale Kommunikation im Gesundheitswesen.

Gesetzliche Grundlage: Wann sind Zahnärzte zur ICD-10-Kodierung verpflichtet?

Die Pflicht zur Diagnosenverschlüsselung nach ICD-10 ist nicht etwa ein freiwilligen Standard, sondern wurde gesetzlich klar geregelt. Maßgeblich ist hier insbesondere der § 295 des Fünften Sozialgesetzbuchs (SGB V). Darin heißt es, dass zahnärztliche Abrechnungsunterlagen gegenüber den Krankenkassen nur dann vollständig sind, wenn sie auch Diagnosen enthalten – und zwar „nach Maßgabe der internationalen Klassifikation der Krankheiten“. Gemeint ist damit explizit die ICD-10-GM in ihrer jeweils aktuellen Fassung.

Auch die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) sowie die Regelungen der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) greifen diese Verpflichtung auf und konkretisieren, in welchen Leistungsbereichen die Kodierung zwingend erforderlich ist. Das betrifft unter anderem die Kieferorthopädie, zahnärztliche Chirurgie, Zahnersatzmaßnahmen mit Festzuschussregelung und Heilmittelverordnungen.

Zudem verlangen viele Praxisverwaltungssysteme (PVS) bereits heute die Eingabe eines gültigen ICD-10-Codes, um bestimmte Formulare (z. B. für AU-Bescheinigungen oder Kassenverordnungen) technisch verarbeiten und abrechnen zu können. Damit ist die Kodierung nicht nur rechtlich vorgeschrieben, sondern in der praktischen Umsetzung oft auch systemtechnisch vorausgesetzt.

Zahnärztliche Leistungsbereiche mit ICD-10-Pflicht

Leistungsbereich

ICD-10-Kodierung erforderlich?

Kieferorthopädie (KFO)

✅ Ja

Chirurgie (KCH)

✅ Ja

Parodontologie (PAR)

✅ Ja

Zahnersatz (ZE/Festzuschüsse)

✅ Ja

Heilmittelverordnung

✅ Ja

AU-Bescheinigung (Formulare)

✅ Ja

Kontrolluntersuchung (BEMA Teil A)

❌ Nein

Privatleistungen (GOZ)

❌ Nicht verpflichtend

Warum die ICD-10-Kodierung bislang oft ignoriert wird

Trotz der klaren rechtlichen Vorgaben erfolgt die ICD-10-Kodierung in vielen Zahnarztpraxen bislang nicht konsequent – und in vielen Fällen gar nicht. Ein Grund dafür liegt nach Aussagen vieler Praxen in der oftmals wenig präzisen oder nur impliziten Kommunikation der Kodierpflichten seitens der Kassenzahnärztlichen Vereinigungen und der Anbieter von Praxisverwaltungssoftware. Häufig fehlt es darüber hinaus in den Zahnarztpraxen selbst an fundiertem Wissen über die konkrete Anwendung und Systematik der ICD-10-GM. Ihre Struktur, Logik und die Auswahl passender Codes sind für viele Zahnärzte nach wie vor ein Buch mit sieben Siegeln. A

uch technisch ist die Kodierung nicht immer optimal in die täglichen Abläufe integriert: Viele Softwarelösungen bieten zwar ICD-10-Felder an, binden sie aber nicht funktional in die Prozesse der Leistungsdokumentation ein. Erschwerend kommt hinzu, dass es – anders als in der ärztlichen Regelversorgung – bislang keine direkten finanziellen Anreize für eine korrekte und vollständige Diagnosenverschlüsselung gibt.

Dennoch ist klar: Die Bedeutung der Kodierung nimmt zu. Mit der fortschreitenden Digitalisierung des Gesundheitswesens, der Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) und zunehmenden Prüfmechanismen durch den Medizinischen Dienst entwickelt sich die ICD-10 auch im zahnärztlichen Bereich zunehmend zu einem Maßstab für Dokumentationsqualität und Systemkonformität.

Vorteile der ICD-10-Kodierung – auch unabhängig von der Abrechnung

Auch wenn die Diagnosenverschlüsselung primär im Zusammenhang mit der GKV-Abrechnung steht, bietet sie den Praxisinhabern zahlreiche praxisrelevante Vorteile, die zur strukturierten und rechtssicheren Organisation zahnärztlicher Leistungen beitragen können. Dazu zählen beispielsweise:

  • Rechtssicherheit bei Leistungsbegründung

  • Transparenz bei interdisziplinären Behandlungen

  • Qualitätsmanagement und Praxis-Controlling

  • Kompatibilität mit Telematikdiensten (ePA, eArztbrief, eAU)

  • Datenbasis für Forschung und Versorgungsanalysen

ICD-10 als Schlüssel für Zukunft und digitale Souveränität

Zusammenfassend kann man sagen: Die ICD-10 war lange ein Randthema in der Zahnmedizin – zu komplex, zu bürokratisch, zu weit entfernt vom Behandlungsalltag. Doch das ändern sich. Die ICD-10-Kodierung ist für Zahnärzte längst mehr als nur ein formaler Verwaltungsakt. Sie schafft die Grundlage für rechtssichere Dokumentation, abrechnungsrelevante Nachweise, interdisziplinäre Verständlichkeit und digitale Kompatibilität im Gesundheitswesen.

Mit dem wachsenden Einfluss der Telematikinfrastruktur, der elektronischen Patientenakte und datenbasierter Versorgungssteuerung wird die korrekte Verschlüsselung zahnmedizinischer Diagnosen künftig nicht nur Pflicht, sondern Standard. Sie wird zum Schlüssel für Transparenz, Qualität und Zukunftsfähigkeit im digitalen Gesundheitswesen. Wer sie beherrscht, gewinnt – an Rechtssicherheit, an Struktur und an Anschluss an das, was kommen wird: eine vernetzte Medizin, in der Daten nicht nur Pflicht, sondern wertvolles Werkzeug sind.

Praxistipp: Einstieg in die ICD-10-Codierung

Wer sich erstmals mit der Thematik auseinandersetzt, sollte bei den kapitelrelevanten ICD-10-Codes der Zahnmedizin beginnen – also insbesondere den Bereichen K00 bis K14 (Krankheiten der Zähne, des Zahnhalteapparates und der Mundhöhle). Hier finden sich die häufigsten zahnärztlichen Diagnosen – von Karies (K02) über Parodontalerkrankungen (K05) bis zu Funktionsstörungen (z. B. M26).

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